Der Prinz und das Maedchen von nebenan
der Straße herrschte kaum Verkehr, und Philippe trat das Gaspedal durch. Der Wagen reagierte sofort. Caro wurde von der Beschleunigung tief in den Sitz gedrückt.
„Er liebte Autos und träumte davon, einmal einen Aston Martin zu fahren. Wenn er mich jetzt sehen könnte, würde er mich beneiden und sich gleichzeitig für mich freuen!“
„Dann hattet ihr eine gute Beziehung?“
„Oh ja!“ Sie strich sich über den Jackenaufschlag. „Dieses Jackett gehörte zu seinem Smoking. Er trug ihn zum Schulball, und niemand erkannte ihn. Im Hausmeisteroverall haben ihn meine Mitschüler nicht beachtet, im eleganten Anzug hielten sie ihn für ihresgleichen.“
Sie zupfte an einem der Ärmel herum und rollte ihn auf, bis das scharlachrote Futter deutlich zu sehen war. „Er behauptete einmal, manche Leute wären wie diese Jacke: von außen unauffällig, aber im Inneren herrlich bunt und wunderschön. Man sollte also niemanden nach seinem Aussehen beurteilen. Was wirklich zählt, ist das Wesen.“
„Mein Vater denkt das Gegenteil. Ihm geht es ausschließlich um den äußeren Anschein. Kein Wunder, dass er so enttäuscht von mir ist.“
Philippe hatte in einem unbekümmerten Tonfall gesprochen, doch zwischen seinen Augenbrauen stand eine tiefe Falte.
„Da er dich für die Dauer seiner Behandlung als Stellvertreter eingesetzt hat, kann er nicht allzu unzufrieden mit dir sein.“
„Das hat er nur getan, weil es die nächstliegende Lösung war. Was würden die Leute sonst denken?“ Entgegen seiner Absicht klangen seine Worte bitter. Er rang sich mühsam ein Lächeln ab. „Außerdem ist es keine Frage von Vertrauen: Er hat mir nicht die Regierungsverantwortung übertragen. Mein Vater meint, es täte mir gut, an den Konferenzen des Ministerrats teilzunehmen, Bulletins zu lesen und das alltägliche Regierungsgeschäft kennenzulernen. Entscheidungen trifft jedoch die Königinwitwe. Ich darf Hände schütteln und ein paar Bankette besuchen, mehr nicht.“
„Könntest du mehr Verantwortung übernehmen, wenn du wolltest?“
„Sie lassen es nicht zu.“ Seine Frustration war unüberhörbar, und er tat Caro leid. Es musste grässlich für ihn sein, zu wissen, dass jeder Versuch sich durchzusetzen mit einem neuerlichen Zusammenbruch seines Vaters enden würde.
„Obwohl ich mit meinem Vater nicht gut auskomme, will ich nicht sein Leben aufs Spiel setzen, indem ich ihn aufrege.“
„Wieso vertraut er dir nicht? Natürlich warst da als Jugendlicher ein ziemlicher Draufgänger, aber das ist schon Jahre her!“
„Es ist schwierig, die eigene Familie davon zu überzeugen, dass man sich geändert hat.“ Philippe warf einen Blick in den Rückspiegel, dann überholte er einen behäbigen Lastwagen. „Etienne war stets der pflicht- und verantwortungsbewusste Sohn, ich der schwierige. Er war der goldene Junge, intelligent, fleißig, freundlich und charmant. Da ich wusste, dass ich ihm nie ebenbürtig sein konnte, versuchte ich es erst gar nicht. Er war der Liebling meines Vaters und sein Ebenbild, ich schlug dummerweise meiner Mutter nach. Wann immer mein Vater mich ansieht, erinnert er sich an die Demütigungen, die sie ihm zugefügt hat. Ich glaube, dass er sich manchmal fragt, ob ich tatsächlich sein Sohn bin!“
Er hatte beabsichtigt, unbeteiligt und ironisch zu sprechen, doch Caro ließ sich nicht täuschen.
„Über deine Mutter weiß ich nichts. Was hat sie getan?“
„Das Übliche: Als sie meinen Vater geheiratet hat, war sie zu jung und lebenslustig. Eines Tages brannte sie mit einem italienischen Rennfahrer durch.“
„Kannst du dich an sie erinnern?“
„Kaum. Manchmal glaube ich, ihr Parfüm zu riechen oder ihr Lachen zu hören. Als sie ging, war ich erst vier. Ich verbrachte ohnehin die meiste Zeit in der Obhut einer Nanny, ihre Abwesenheit fiel mir daher vermutlich kaum auf. Für Etienne war es wesentlich schlimmer, er war bereits elf.“ Er schwieg einen Moment.
„Sicher hat er sehr gelitten, dennoch kam er und spielte stundenlang mit mir, damit ich sie nicht vermisse. So ein Mensch war er!“
„Ich hatte keine Ahnung, dass ihr euch so nahe gestanden habt.“
Ihr tat das Herz weh für den kleinen Jungen, der Philippe einmal gewesen war. Ihr Vater hatte recht gehabt: Man durfte niemanden allein nach dem Gesicht beurteilen, das er der Welt zeigte. Philippe hatte ihr anfangs nur kalte Arroganz gezeigt, und es war ihr nicht in den Sinn gekommen sich zu fragen, was er dahinter verbarg: ein einsames
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