Der Prinz von Atrithau
er.
Langsam rumpelte der Wagen voran. Beim Überrollen der Toten verlor der Kaiser mehrmals kurz das Gleichgewicht. Ihm war flau vor Angst, und sein Magen schien zu schwimmen, doch in seinen Gedanken spukte das wilde, delirierende Frohlocken dessen, der den Tod vor Augen hat. Ein Fackelträger nach dem anderen ging im Getümmel unter, doch die Kidruhil blieben standhaft, kämpften den Weg frei und schlugen sich durch die Menge. Ihre Schwerter hoben und senkten sich wieder und wieder, und Xerius glaubte, er höchstpersönlich strafe den Pöbel und sei es selbst, der die Aufrührer niedersteche.
Mit wahnsinnigem Lachen schob sich der Kaiser von Nansur durch sein Volk hindurch auf den riesigen Tempel Xothei zu.
Schließlich erreichte die dezimierte Prozession die kaiserliche Garde, die auf den gewaltigen Stufen des Tempels postiert war. Der von den Eindrücken der Fahrt und seinen wilden Fantasien geradezu betäubte Xerius wurde vom Wagen auf einen erhöhten Holzsteg geleitet, der zum Haupteingang des Tempels führte. Der Kaiser musste stets höher stehen als die anderen. Er packte irgendeinen Hauptmann brüsk am Arm.
»Sag in den Kasernen Bescheid! Die Soldaten sollen ausrücken und alle niedermetzeln, die sich hier versammelt haben. Auf dem Rückweg soll mein Wagen durch Blut rutschen!«
Disziplin. Er würde es ihnen zeigen.
Dann schritt er zum Eingang des Tempels, stolperte kurz über den Saum seiner Robe und glaubte vor Wut zu sterben, als das Gebrüll für Sekunden in Lachen überging. Einen Moment lang blickte er auf ein Meer aus Zorn und Entzücken. Dann raffte er seine Robe und lief fast fluchtartig den Steg entlang. Kurz darauf umschloss ihn das massive Mauerwerk des Tempels. Endlich in Sicherheit!
Die Türen fielen hinter ihm ins Schloss.
Ihm knickten die Beine weg, was ihn einen Moment lang sprachlos verwunderte. Er spürte den kalten Boden unter den Knien, legte zitternd die Hand an die Stirn und war überrascht, dass sie völlig verschwitzt war.
So eine Torheit! Was würde Conphas denken?
Ihm klangen die Ohren. Die Dunkelheit kam ihm unwirklich vor. Aus den Steinen ringsum schien ihm der Name entgegenzutreten und sich zu materialisieren.
Der Name Maithanet.
Ihm schien es, als hätten Millionen Stimmen ihn wie ein Gebet gerufen. Diesen Namen, der Xerius ein Gräuel war.
Maithanet.
Atemlos schritt er auf wackligen Beinen durch die Halle und hielt dann inne. Nur einige der großen Lampenkränze brannten. Fahle Lichtkegel lagen auf dem ausgedehnten Tempelfußboden mit seinen vergilbten Gebetsfliesen. Gewaltige Säulen ragten in die Düsternis auf. Die Emporen waren im Dunkeln kaum zu erkennen. Bei Gottesdiensten zogen Weihrauchschwaden über den Fußboden, ließen die Nischen verschwommen und geisterhaft wirken und umgaben die Lampen mit einem Glorienschein, der die Gläubigen annehmen ließ, sie befänden sich genau an dem Punkt, der diese Welt mit dem Jenseits verband. Jetzt aber war der Tempel hohl und nackt. Von einem schwachen Duft nach Myrrhe abgesehen, roch es wie im Keller. Hier verband sich absolut nichts miteinander – es war nur eine Nische des Friedens, erstanden aus totem Gestein.
In der Ferne konnte Xerius ihn inmitten des großen Halbkreises aus Götzen knien sehen.
Da bist du also, dachte er und spürte etwas Kraft in seine schwachen Glieder zurückkehren. Seine Schuhe schlurften über den Boden. Unbewusst strich er sich übers Gewand, um es zu glätten und zurechtzurücken. Seine Augen huschten über die Säulenfriese mit ihren Königen, Kaisern und Göttern, die allesamt die Unbeugsamkeit und übernatürliche Würde in Stein gehauener Gestalten an den Tag legten. Vor der ersten Stufenreihe blieb er stehen. Über ihm gähnte die gewaltige Mittelkuppel.
Einige Augenblicke lang starrte er auf den breiten Rücken des Tempelvorstehers.
Sieh deinem Kaiser ins Gesicht, du fanatischer, undankbarer Mensch!
»Ich freue mich, dass Ihr gekommen seid«, sagte Maithanet, ohne sich umzudrehen. Er hatte eine volltönende und einnehmende Stimme, aus der keinerlei Unterwürfigkeit klang; Tempelvorsteher und Kaiser waren einander ebenbürtig.
»Was soll das, Maithanet? Warum treffen wir uns hier?«
Der breite Rücken drehte sich. Maithanet trug eine schlichte weiße Kutte mit halblangen Ärmeln. Glitzernden Auges unterzog er Xerius einer kurzen Prüfung und hob dann den Kopf, um dem entfernten Johlen der Menge zu lauschen, als handle es sich dabei um einen Regen, um den man lange gebetet
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