Der Prinz von Atrithau
zitiert mich herbei! Mich! Eine Unverschämtheit!
Er schritt die Holzstufen hoch und bestieg den Kaiserwagen. Auf einen Ruf hin erhoben sich alle.
Xerius streckte eine weiß behandschuhte Hand aus und fragte sich, wen sein Seneschall Ngarau erwählt haben mochte, ihm die Zügel zu reichen – eine Ehre von großer traditioneller Bedeutung, für die der Kaiser sich freilich nicht weiter interessierte. Was solche Dinge anbelangte, vertraute Xerius dem Urteil seines Seneschalls blind… Genau, wie er einst Skeaös vertraut hatte.
Plötzliches Entsetzen ergriff ihn. Wie lange noch würde der Name Skeaös wie Glas schneiden?
Er nahm kaum Notiz von dem Jungen, der ihm die Zügel reichte. Irgendein Nachkomme des Hauses Kiskei? Egal. Obwohl abgelenkt, bewegte Xerius sich – wie es seine Art war – mit großer Anmut. Das hatte er von seinem Vater geerbt, der ein feiger Narr gewesen sein mochte, die Rolle des großen Kaisers aber stets perfekt verkörpert hatte.
Xerius reichte die Zügel an seinen Wagenlenker weiter und gab wie betäubt das Zeichen zur Abfahrt. Das Gespann ruckte an, als der Hauptmann die Peitsche knallen ließ, und zog den mit Gold vertäfelten Wagen. Die Rauchgefäße an den Pferden schaukelten, und der Geruch von Jasmin und Sandelholz erfüllte die Luft. Dem Kaiser musste der beunruhigende Gestank seiner Hauptstadt erspart bleiben.
Hunderte angemalte Gesichter und einschmeichelnde Mienen beobachteten den starr geradeaus blickenden Xerius, dessen Haltung statuarisch und dessen Miene distanziert und hochnäsig war. Nur ein paar Auserwählten war das Privileg eines kaiserlichen Nickens vergönnt: seiner Mutter Istriya, dem alten General Kumuleus, dessen Unterstützung Xerius nach dem Tod seines Vaters den Kaisermantel zu verdanken hatte, und natürlich seinem meistgeschätzten Auguren Arithmeas. Xerius hortete das immaterielle Gold der Kaisergunst eifersüchtig und war geschickt in seiner Verteilung. Mochte man auch Wagemut brauchen, um den Aufstieg zu schaffen – Sparsamkeit war entscheidend, um an der Spitze zu bleiben.
Auch diese Lektion hatte Xerius von seiner Mutter gelernt. Die Kaiserin hatte dafür gesorgt, dass ihm die blutige Geschichte seiner Vorgänger stets präsent war, und ihm unzählige warnende Beispiele vermittelt. Einer hatte zu großes Vertrauen gehabt, ein anderer war zu grausam gewesen, und so fort. Surmante Skilura II. der stets einen Kelch geschmolzenen Goldes in Reichweite hatte, um damit nach denen zu spritzen, die sein Missfallen erregt hatten, war zu grausam gewesen – Surmante Xatantius hingegen zu kriegerisch: Eroberungen sollten den Kaiser nicht zugrunde richten, sondern seinen Reichtum mehren. Zerxei Triamarius III. war zu fett gewesen, so fett, dass Sklaven seine Knie stützen mussten, wenn er ausritt. Sein Tod sei, hatte Istriya gekichert, nicht zuletzt eine Frage des ästhetischen Anstands gewesen, denn ein Kaiser müsse wie ein Gott aussehen, nicht wie ein überfressener Eunuch.
Zu viel von diesem oder jenem. »Die Welt zügelt uns nicht«, hatte die unbeugsame Kaiserin einmal augenzwinkernd erklärt. »Also müssen wir selbst uns zügeln – wie die Götter. Disziplin, mein guter Xerius! Wir müssen Disziplin wahren.«
Die besaß er – wie er glaubte – im Überfluss.
Vor dem Palast gesellte sich schwere Kavallerie zum Kaiserwagen, Mitglieder der Kidruhil genauer gesagt, einer Elitetruppe, die nun in mehreren Reihen vor und hinter dem Gespann des Xerius ritt. Flankiert von Fackelträgern wand sich die leuchtende Prozession die Andiamin-Höhen hinunter und kam auf die lange, monumentale Prachtstraße, die den Palastbezirk mit dem Tempelkomplex Cmiral verband.
Viele Bewohner der Hauptstadt standen in schattenhaften Trauben an der Straße, um einen Blick auf ihren göttlichen Kaiser zu erhaschen. Offenbar hatte sich die Nachricht von seiner kurzen Wallfahrt in der ganzen Stadt verbreitet. Xerius wandte sich lächelnd nach links und rechts und hob lässig die Hand zum einen oder anderen Gruß.
Er will also, dass dies bekannt wird…
Zunächst konnte er über das Gespann und die Fackeln hinaus kaum etwas erkennen, und das Klappern der Hufe auf dem Pflaster ließ ihn kaum etwas anderes hören. Doch je weiter sie fuhren, desto verstopfter war die Prozessionsstraße. Bald drängten sich Sklaven und Menschen von niederem Stand in unmittelbarer Nähe der Fackelträger. Ihre Gesichter waren hell erleuchtet, und Xerius musste feststellen, dass sie höhnten und
Weitere Kostenlose Bücher