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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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hatte. Xerius sah unter dem eingeölten schwarzen Bart ein kräftiges Kinn. Maithanets Gesicht war breit, bäurisch und überraschend jung, obwohl er ganz und gar nicht jugendlich wirkte. Wie alt magst du sein?, dachte Xerius.
    »Hört mal!«, flüsterte der Tempelvorsteher und hob die Hände zum widerhallenden Klang seines Namens. Maithanet, Maithanet, Maithanet…
    »Ich bin nicht eitel, Ikurei Xerius, aber es bewegt mich doch, sie so rufen zu hören.«
    Trotz des theatralischen Getues flößte Maithanets Anwesenheit Xerius Ehrfurcht ein. Erneut packte ihn der schon überwunden geglaubte Schwindel.
    »Ich hab keine Geduld für diese Jnan-Kindereien, Maithanet.«
    Der Tempelvorsteher hielt inne, lächelte einnehmend und kam die Stufen herab. »Ich bin wegen des Heiligen Kriegs hier… Ich bin hier, um Euch in die Augen zu sehen.«
    Diese Worte beunruhigten den Kaiser noch mehr. Noch ehe er gekommen war, hatte Xerius gewusst, dass bei dieser Begegnung viel auf dem Spiel stehen würde.
    »Sagt, habt Ihr einen Pakt mit den Heiden geschlossen?«, fragte Maithanet nun. »Habt Ihr geschworen, den Heiligen Krieg zu verraten, ehe er das Heilige Land erreicht?«
    Konnte er Bescheid wissen?
    »Nein, Maithanet – das versichere ich Euch.«
    »Nein?«
    »Es kränkt mich, Ehrwürdiger Tempelvorsteher, dass Ihr…«
    Maithanet lachte plötzlich so laut und volltönend los, dass noch der letzte Winkel des großen Tempels widerhallte.
    Xerius keuchte regelrecht. Der Kodex von Psata-Antyu, der das Gebaren des Tempelvorstehers regelte, verbot lautes Lachen als eine Form von Selbstbefriedigung. Der Kaiser begriff, dass Maithanet ihm einen Blick in seine Abgründe gewährt hatte. Aber wozu? Die Menschenmassen, die Forderung, sich im Xothei zu treffen, und selbst die Sprechchöre, die Maithanets Namen riefen – all das war eine in ihrer genau kalkulierten Anmaßung schockierende Demonstration.
    Ich werde dich zerquetschen, teilte der Tempelvorsteher ihm hier mit. Falls der Heilige Krieg scheitert, bist du am Ende.
    »Verzeiht bitte, Xerius«, sagte Maithanet leichthin. »Offenbar werden sogar Heilige Kriege von falschen Gerüchten vergiftet, oder?«, fragte er mit gequältem Lächeln.
    Er will mich einschüchtern, dachte Xerius. Er weiß nichts und will mich deshalb einschüchtern!
    Der Kaiser kochte vor Zorn, schwieg aber. Zu hassen fällt mir viel leichter als Conphas, dachte er. Mein altkluger Neffe kann zwar brutal, ja grausam sein, zieht sich dann aber unweigerlich wieder in seine aalglatte Distanziertheit zurück, die alle so zermürbend finden. Ich hasse dauerhaft und unversöhnlich.
    Plötzlich fiel ihm auf, dass die flüchtige Beschäftigung mit der Wesensart seines Neffen eine recht seltsame Angewohnheit war. Wann war Conphas eigentlich der Maßstab geworden, mit dem er die Ellen seines Herzens vermaß?
    »Kommt, Ikurei Xerius«, sagte der Vorsteher der Tausend Tempel ernst, als könnte das Gewicht dessen, was nun folgte, ihr Leben für immer prägen. Einen kurzen Moment lang erkannte Xerius die charakterliche Begabung, die diesen Mann in solche Höhen katapultiert hatte: die Fähigkeit, dem Augenblick etwas Heiliges zu verleihen und den Menschen Ehrfurcht zu schenken, als wäre es Brot, das er aus seinem Korb genommen hatte.
    »Kommt… Hört Euch an, was ich meinem Volk zu sagen habe.«
    Doch während ihrer Begegnung hatte sich der Lärm auf dem Platz verändert. Erst zögernd, dann immer deutlicher hatten sich die Sprechchöre, die Maithanets Namen skandierten, gewandelt.
    In Schreie.
    Offenbar hatte der namenlose Hauptmann die Anweisung seines Kaisers mit größtem Diensteifer ausgeführt. Xerius lächelte sein Siegerlächeln. Zu guter Letzt fühlte er sich diesem widerlich beeindruckenden Menschen doch noch gewachsen.
    »Hört Ihr, Maithanet? Jetzt rufen sie meinen Namen.«
    »Wahrhaftig«, sagte der Tempelvorsteher düster. »Wahrhaftig.«
     
     
    HINNERETH AN DER KÜSTE VON GEDEA, SPÄTSOMMER 4111
     
    Wie aus Abneigung gegenüber dem Meer stieg das Land kurz vor der zerklüfteten Küste von Gedea noch mal gebirgig an. Da die Küstenebenen – vom Schwemmland bei Hinnereth abgesehen – schmal waren oder ganz fehlten, schien das Land selbst sich verschworen zu haben, den Heiligen Krieg in die alte Stadt zu bringen. Als die ersten Truppen die terrassierten Hänge herunterkamen, sahen sie Hinnereths enge Gassen am Meneanor-Meer liegen. Die Stadt – ein Labyrinth aus Lehm- und Ziegelbauten – war von Befestigungen aus

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