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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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hatten ihre Wange gestreift? Stets hatte sie sie erdulden müssen. Und all diese Kunden hatten sie noch dafür bestraft, ihre sexuellen Bedürfnisse befriedigt zu haben. Die Monotonie hatte ihre Freier lächerlich erscheinen lassen – als lange Reihe schwacher, hoffnungsvoller, verschämter, wütender oder gefährlicher Menschen. Wie leicht ein grunzender Körper den anderen ersetzte, bis sie abstrakt wurden – Momentaufnahmen einer grotesken Zeremonie, bei der Esmenet mit körperwarmen Trankopfern bespritzt wurde, die doch nur bedeutungslose Flüssigkeiten waren – eine so gleichgültig wie die andere.
    Auch dafür hatten sie sie bestraft.
    Wie alt war sie, als ihr Vater sie erstmals an einen seiner Freunde verkauft hatte? Elf? Zwölf? Wann hatte die Bestrafung begonnen? Wann hatte er zum ersten Mal mit ihr geschlafen? Sie wusste noch, wie sehr ihre Mutter darüber geweint hatte, doch viel mehr wusste sie nicht.
    Und ihre Tochter? Wie alt war sie gewesen?
    Sie habe die Gedanken ihres Vaters gedacht, berichtete sie Kellhus. Noch ein Mund. Lass ihn sich selbst füttern. Die Monotonie ihres Berufs hatte sie dem Schrecken gegenüber abstumpfen lassen und Erniedrigung zu einer lachhaften Angelegenheit gemacht. Wie konnten diese Narren glänzendes Silber dafür hergeben, ihren milchigen Samen zu verspritzen! Sollte Mimara die Dummheit der Männer – dieser unbeholfenen, stets geilen Tiere – ruhig gründlich studieren! Man musste nur etwas Geduld aufbringen, ihre Leidenschaft nachahmen und ein wenig abwarten, dann war es vorüber. Am nächsten Morgen konnte man dann Essen kaufen… Essen, das Narren bezahlt haben, Mimara. Verstehst du das denn nicht, Kind? Sch, hör auf zu weinen. Sieh doch! Essen von Dummköpfen!
    »So hat sie geheißen?«, fragte Kellhus. »Mimara?«
    »Ja.« Warum konnte sie diesen Namen jetzt aussprechen, obwohl sie das in Achamians Anwesenheit nie hatte tun können? Seltsam, dass lange Trauer den Schmerz unaussprechlicher Dinge besänftigen konnte.
    Die ersten Schluchzer überraschten sie. Ohne nachzudenken, lehnte sie sich an Kellhus, und er nahm sie in die Arme. Sie jammerte und schlug sanft gegen seine Brust, seufzte tief und weinte. Er roch nach Wolle und sonnenverbrannter Haut.
    Die einzigen Menschen, die sie je geliebt hatte, waren tot.
    Als sie wieder ruhiger atmete, drückte Kellhus sie von sich weg, und ihre Hände fielen schlaff in seinen Schoß. Einige atemlose Sekunden lang spürte sie ihn gegen ihren Handrücken hart werden.
    Die Stille ringsum schien zu schreien.
    Dann zog sie die Hände weg.
    Warum sollte sie so eine Nacht vergiften?
    Kellhus schüttelte den Kopf und lachte leise. »Vertrautheit zeugt Vertrautheit, Esmi. Solange wir nicht vergessen, wer wir sind, gibt es keinen Grund, sich dessen zu schämen. Wir alle sind schwach.«
    Sie sah auf ihre Handflächen und Handgelenke und lächelte.
    »Ich weiß, wer ich bin. Danke, Kellhus.«
    Er berührte sie sanft an der Wange und duckte sich dann aus ihrem kleinen Zelt.
    Sie rollte auf die Seite, drückte die Hände zwischen die Knie und fluchte in sich hinein, bis sie einschlief.
     
     
    Die Botschaft sei übers Meer gekommen, sagte der Mann. Er war Galeoth und – dem Umhang nach – Mitglied des Hauses Saubon.
    Proyas wog die Elfenbeinschatulle in der Hand. Sie war klein, fühlte sich kalt an und war kunstvoll mit winzigen Stoßzähnen verziert. Geschickte Handarbeit, dachte er. Unzählige winzige Figuren umrissen einander, so dass es keinen klaren Hintergrund gab, von dem sie sich deutlich abhoben – nur Stoßzähne und noch mehr Stoßzähne. Sogar der Behälter der Botschaft ist eine Art Predigt, sinnierte Proyas.
    Aber so war Maithanet eben: überall nichts als Predigten.
    Der Prinz von Conriya dankte dem Mann, entließ ihn und kehrte an seinen Klapptisch zurück. In seinem Pavillon war es so heiß und feucht, dass er sich über die zusätzliche Hitze der Lampen ärgerte. Er hatte sich bis auf eine dünne weiße Leinentunika ausgezogen und schon beschlossen, sich nach der Lektüre des Briefs nackt schlafen zu legen.
    Mit dem Messer öffnete er vorsichtig das Wachssiegel der Schatulle und kippte sie. Eine kleine Schriftrolle glitt heraus. Sie trug ein weiteres Siegel mit dem Zeichen des Tempelvorstehers persönlich.
    Was mag er von mir wollen?
    Proyas dachte einige Sekunden lang über das Privileg nach, von so einem Mann solche Briefe zu empfangen. Dann brach er das Siegel und rollte das Pergament aus.
     
    Prinz Nersei

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