Der Prinz von Atrithau
und Zweifel. Dazwischen, dem Mysterium zu entsagen oder es anzunehmen.«
»Aber Zweifel ist Schwäche!«, hatte Proyas gerufen. »Und Glaube ist Stärke!« Er war überzeugt, sich nie so heilig gefühlt zu haben wie in jenem Moment. Die Sonne schien direkt in sein Inneres zu leuchten und sein Herz zu baden.
»Wirklich? Hast du dich mal umgeschaut, Prosha? Achte mal darauf, und dann sag mir, wie viele Menschen aus Schwäche zu zweifeln beginnen. Hör dich um und sag mir, was du erfahren hast.«
Er tat, wozu Achamian ihn ermuntert hatte. Mehrere Tage lang beobachtete und lauschte er. Er sah viel Zaudern, war aber nicht so dumm, es mit Zweifel zu verwechseln. Er hörte Adlige zanken und Erbpriester jammern. Er belauschte Soldaten und Ritter. Er beobachtete, wie Bote für Bote vor seinen Vater trat und jeder eine neue blumige Behauptung aufstellte. Er hörte die Sklaven beim Wäschewaschen scherzen und sich beim Essen in den Haaren liegen. Und in all den ungezählten Prahlereien, Erklärungen und Anklagen hörte Proyas nur sehr selten jene Worte, die ihm durch Achamian so vertraut geworden waren, obwohl er sie so schwierig fand. Und wenn er sie hörte, dann aus dem Munde derer, die Proyas für weise, gerecht und mitfühlend erachtete, und sicher nicht aus dem Munde derer, die er für dumm und böse hielt.
»Ich weiß es nicht.«
Warum waren diese Worte so schwierig?
»Weil Menschen töten wollen«, hatte Achamian ihm dann erklärt. »Weil sie Gold und Ruhm haben wollen. Und Überzeugungen, die ihnen Antworten auf ihre Ängste, ihren Hass und ihre Lüste bieten.«
Proyas konnte sich an sein mit Herzklopfen einhergehendes Erstaunen erinnern, an das Hochgefühl des Streunens.
»Akka?«, hatte er gefragt und tief und wagemutig Luft geholt. »Willst du damit etwa sagen, der Stoßzahn lügt?«
Ein entsetzter Blick. »Ich weiß es nicht.«
Das waren schwierige Worte. So schwierig, dass Achamian aus Aöknyssus verbannt und der berühmte Tempelgelehrte Charamemas der neue Hauslehrer von Proyas wurde. Achamian hatte gewusst, dass dies geschehen würde – das war Proyas inzwischen klar.
Warum hatte Achamian, der bereits verdammt war, so viel für so wenige Worte geopfert?
Er dachte, er würde mir damit etwas geben. Etwas Wichtiges.
Drusas Achamian hatte ihn so innig geliebt, dass er seinen Posten und seinen Ruf gefährdet hatte – sogar seine Berufung, wenn das, was Xinemus gesagt hatte, stimmte. Achamian hatte ohne Hoffnung auf Belohnung gegeben.
Er wollte, dass ich frei bin.
Und Proyas hatte nur an Belohnungen gedacht und ihn deshalb verraten.
Dieser Gedanke war unerträglich.
Ich hab es für den Heiligen Krieg getan! Für Shimeh!
Und nun war dieser Brief gekommen – von Maithanet.
Er nahm das Pergament und las es erneut, als würde die männliche Handschrift des Tempelvorstehers eine Antwort parat halten.
Helft Drusas Achamian…
Was war passiert? Dass Maithanet sich mit den Scharlachspitzen verbündet hatte, konnte er nachvollziehen, aber welchen Nutzen konnte ein Ordensmann für den Tempelvorsteher haben? Noch dazu ein Ordensmann der Mandatil?
Ein plötzliches Frösteln durchfuhr ihn. Unter den schwarzen Mauern von Momemn hatte Achamian einmal behauptet, der Heilige Krieg sei nicht, was er zu sein scheine… War dieser Brief ein Beweis dafür?
Etwas hatte Maithanet Angst gemacht oder zumindest beunruhigt. Aber was?
Hatte er Gerüchte über Prinz Kellhus gehört? Seit Wochen hatte Proyas dem Vorsteher über den Prinzen von Atrithau schreiben wollen, sich aber irgendwie nicht dazu aufraffen können. Etwas zwang ihn zu warten, aber ob es Hoffnung oder Angst war, wusste er nicht zu sagen. Kellhus kam ihm einfach wie eines jener Rätsel vor, die sich nur mit Geduld lösen ließen. Und was hätte er Maithanet auch mitteilen sollen? Dass der im Namen des Letzten Propheten geführte Heilige Krieg die Geburt eines Allerletzten Propheten erlebte?
Er gab es nur sehr ungern zu, doch Conphas hatte Recht: Diese Vorstellung war einfach zu absurd!
Nein. Wenn der Tempelvorsteher hinsichtlich Prinz Kellhus Vorbehalte hatte, hätte er einfach nachgefragt – dessen war Proyas sich ziemlich sicher. Doch in Maithanets Brief gab es keinen Hinweis, geschweige denn eine Erwähnung des Prinzen aus Atrithau. Wahrscheinlich hatte Maithanet keinen Schimmer von Kellhus’ Existenz, geschweige denn von seiner zunehmenden Bedeutung.
Nein, entschied Proyas. Es muss etwas anderes sein. Etwas, von dem der Tempelvorsteher meint, es
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