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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Xinemus ihr erzählt.
    Vielleicht litt er ja deshalb. Vielleicht war er ihr gar nicht unähnlich.
    Das jedenfalls würde Kellhus sagen.
    Nachdem Esmenet ihnen allen verdünnten Wein eingeschenkt und den Männern die Reste des Abendessens vorgesetzt hatte, ließ sie sich auf der gegenüberliegenden Seite des Feuers nieder.
    Die Männer besprachen beim Essen Kriegsangelegenheiten, und Esmenet war beeindruckt, wie offensichtlich der sonst so zurückhaltende Proyas sich Kellhus unterordnete. Plötzlich begriff sie, warum der Dûnyain seinen Anhängern verboten hatte, ihr Lager rund um sein Zelt aufzuschlagen. Proyas und die anderen Hohen Herren waren wahrscheinlich seinetwegen beunruhigt. Wer im Zentrum der Dinge stand, war immer unnachgiebiger und belagerter als die Leute am Rand. Und Kellhus versprach, ein neues Zentrum zu werden.
    Die Männer verstummten, um Lamm, Zwiebeln und Brot zu essen. Dann setzte Proyas seinen Teller beiseite, spülte mit einem Schluck Wein nach und sah dabei – anscheinend unabsichtlich – zu Esmenet hinüber und dann in die Ferne. Esmenet fand die Stille plötzlich erdrückend.
    »Wie geht es dem Scylvendi?«, fragte sie, weil sie nicht wusste, was sie sonst sagen sollte.
    Er schaute sie wieder an. Einen Moment lang verweilte sein Blick auf ihrer tätowierten Hand.
    »Dem begegne ich nur selten«, entgegnete er und sah in die Flammen.
    »Ich dachte, er berät…« Sie hielt inne, da sie plötzlich zweifelte, ob ihre Worte angebracht waren. Achamian hatte immer über ihr forsches Auftreten Adligen gegenüber geklagt.
    »Du dachtest, er berät mich in Kriegsfragen?« Proyas schüttelte den Kopf, und einen Moment lang sah Esmenet, warum Achamian ihn geliebt hatte. Es war so seltsam, mit denen zusammen zu sein, die er gekannt hatte. Irgendwie machte es seine Abwesenheit greifbar und zugleich leichter erträglich.
    Er war wirklich und hatte sein Zeichen hinterlassen. Die Welt erinnerte sich seiner.
    »Als Kellhus erklärt hatte, was bei Anwurat geschehen ist«, fuhr der Prinz fort, »feierte der Rat Cnaiür als Urheber unseres Sieges. Die Priester von Gilgaöl haben ihn sogar zum Schlacht-Zelebranten ernannt, aber er hat von all dem nichts wissen wollen.«
    Er nahm noch einen Schluck Wein. »Er findet es wohl unerträglich…«
    »… als Scylvendi gemeinsam mit Inrithi zu kämpfen?«, fragte Kellhus.
    Proyas schüttelte den Kopf und stellte den leeren Kelch direkt vor seinen rechten Fuß.
    »… uns zu mögen«, entgegnete er.
    Ohne ein weiteres Wort stand er auf, bat um Entschuldigung, verbeugte sich vor Kellhus, dankte Serwë für den Wein und die liebenswürdige Gesellschaft und schritt dann ins Dunkel. Bei all dem würdigte er Esmenet nicht eines Blicks.
    Serwë sah auf ihre Füße. Kellhus schien in Grübeln versunken. Esmenet saß eine Zeit lang schweigend da. Ihr Gesicht glühte, und ihre Glieder und Gedanken waren seltsam erregt. Dieses Gefühl befremdete sie stets, obwohl sie es genau kannte.
    Scham.
    Es verfolgte sie überallhin. Wie ihr Körpergeruch.
    »Es tut mir leid«, sagte sie zu den beiden.
    Was hatte sie hier bloß verloren, da sie doch nichts anderes zu bieten hatte als ihre Erniedrigung? Sie war unrein, befleckt! Und doch hielt sie sich bei Kellhus auf? Bei Kellhus? Was war sie für eine Närrin! Solange sie sich das Zeichen nicht vom Handrücken waschen konnte, vermochte sie keine neue Identität zu entwickeln. Den Samen konnte sie wegspülen, nicht aber die Sünde. Die Sünde nicht.
    Und er war…
    »Es tut mir leid«, schluchzte sie.
    Sie floh vom Feuer und verkroch sich in der dunklen Einsamkeit ihres Zelts. Seines Zelts! Des Zelts von Akka!
    Kellhus kam ihr bald nach, und sie verübelte es sich sehr, genau das gehofft zu haben.
    »Ich wünschte, ich wäre tot«, flüsterte sie, die Stirn an den Boden gedrückt.
    »Das tun viele.«
    Wie immer war er unerbittlich ehrlich. Konnte sie ihm folgen, wohin er sie führte? Hatte sie die Kraft dazu?
    »Ich habe im Leben nur zwei Menschen geliebt, Kellhus.«
    Der Prinz sah sie weiter an. »Und beide sind tot.«
    Sie nickte unter Tränen.
    »Du kennst meine Sünden nicht, Kellhus. Du kennst das Dunkel nicht, das ich im Herzen trage.«
    »Dann erzähl mir davon.«
    Sie redeten bis tief in die Nacht, wobei Esmenet eine seltsame Leidenschaftslosigkeit verspürte, die die Extremerfahrungen ihres Lebens – Tod, Verlust, Erniedrigung – merkwürdig leblos erscheinen ließ.
    Wie viele Männer hatten sie umarmt? Wie viele Stoppelbärte

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