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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Herz und das Stammeln von Ottma zeugten von der überwältigenden Präsenz Serwës, die unbekümmert an seiner Seite schwatzte. Das kurze, höhnische Grinsen, das Ulnarta sehen ließ, bevor er lächelte, bedeutete, dass er Tshuma noch immer wegen seiner dunklen Hautfarbe ablehnte. Wie Kasalla, Gayamakri und Hilderath ihre Schultern auf Werjau hin ausrichteten, während sie mit anderen redeten, zeigte, dass sie ihn noch immer als ihren Sprecher ansahen. Und wirklich zeugte Werjaus Neigung, mehr und mehr über das Feuer hinweg zu rufen und sich dabei vorzubeugen, während die anderen das Gespräch gewöhnlich auf ihre Nachbarn beschränkten, davon, dass sich hier unbewusst Dominanz und Unterwerfung bekundeten. Werjau reckte sogar das Kinn vor…
    »Sag mal, Werjau«, rief Kellhus, »was siehst du in deinem Herzen?«
    Solche Maßregelungen waren unvermeidlich. Schließlich handelte es sich hier um ganz normale Männer.
    »Freude«, sagte Werjau lächelnd. Der Glanz seiner Augen ließ etwas nach, sein Puls flackerte auf, und er errötete.
    Er sieht und sieht doch nicht.
    Kellhus presste die Lippen zusammen, so dass er so traurig wie geduldig erschien. »Und was sehe ich in deinem Herzen?«
    Das weiß er…
    Die Übrigen verstummten.
    Werjau senkte den Blick.
    »Stolz«, sagte der junge Galeoth. »Ihr seht Stolz, Meister.«
    Kellhus lächelte, und ihre Beklemmung war wie weggeblasen.
    »Nicht bei diesem Gesicht, Werjau«, sagte er.
    Alle, auch Serwë und Esmenet, brüllten vor Lachen, und Kellhus ließ den Blick zufrieden über seine Gäste schweifen. Er durfte nicht dulden, dass sie sich voreinander in Pose warfen. Es war das völlige Fehlen von Überheblichkeit, was seine Gegenwart so einzigartig machte und den Menschen bei der Aussicht, ihn zu sehen, das Herz aufgehen und flau im Magen werden ließ. Erst Isolation und gegenseitige Missbilligung ließen Sünden lastend werden. Streifte man diese Unsitten aber ab und beraubte die Menschen ihrer Täuschungen und Vorurteile, dann verschwand ihr Gefühl, schändlich und wertlos zu sein, ganz einfach.
    Sie fühlten sich in seiner Gegenwart besser – zugleich rein und auserwählt.
     
     
    Pragma Meigon sah durch die Miene des jungen Kellhus hindurch auf seine Angst. »Die sind harmlos«, sagte er.
    »Worum handelt es sich dabei, Pragma?«
    »Um beispielhafte Defekte. Um Muster, die zur Ausbildung dienen.« Der Pragma tat, als lächelte er. »Für Schüler wie dich, Kellhus.«
    Sie befanden sich tief unter Ishuäl in einem sechseckigen Raum des gewaltigen Komplexes der Hunderttausend Gänge. Längs der Wände standen Kerzenständer mit eindrucksvoll aufgetürmten Wachsresten und warfen ein schattenloses Licht, das hell und klar wie die Mittagssonne war. Das allein war schon etwas Besonderes, denn Licht war im Labyrinth eigentlich verboten. Was den Raum aber ganz erstaunlich machte, waren die vielen Männer, die in seiner abgesenkten Mitte in Ketten lagen.
    Alle waren nackt, bleich wie Leinentücher und mit grünlichen Kupfergurten an Platten gebunden, die sich leicht nach außen bogen und in einem weiten Kreis aufgestellt waren. Die Männer waren in Armeslänge zu ihren Nachbarn an den Rand der zentralen Vertiefung gefesselt, so dass ein Junge von Kellhus’ Größe ihnen genau ins Gesicht hätte sehen können…
    … wenn sie ein Gesicht gehabt hätten.
    Ihre Köpfe steckten in Eisenkäfigen und waren obendrein fixiert. Dahinter befanden sich Drähte, die strahlenförmig nach vorn liefen und in winzigen Silberhaken endeten, die den Männern in der Haut steckten. Glatte Muskeln glänzten im Licht. Kellhus hatte den Eindruck, all diese Männer hätten den Kopf in ein Spinnennetz gesteckt, das ihnen das Gesicht weggeätzt hatte.
    Pragma Meigon hatte diesen Raum Demaskierungszimmer genannt.
    »Zunächst«, sagte er zu Kellhus, »schaust du dir jedes Gesicht genau an und prägst es dir ein. Dann zeichnest du, was du gesehen hast, auf Pergament.« Er wies mit dem Kopf auf eine Reihe beschädigter Schreibpulte an der Südwand.
    Mit Gliedern, die leicht wie Herbstlaub waren, trat Kellhus einen Schritt vor. Er hörte das Kauen bleicher Münder und ein stimmloses Grunzen und Keuchen.
    »Ihr Kehlkopf wurde entfernt«, erklärte Pragma Meigon, »um die Konzentration zu verbessern.«
    Kellhus machte vor dem ersten Muster Halt.
    »Das Gesicht hat vierundvierzig Muskeln«, fuhr der Pragma fort. »In ihrem Wechselspiel dokumentieren sie jede emotionale Veränderung. All diese

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