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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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wiederum saß Dinchases und hielt den Sklaven seinen Weinkelch zum Nachfüllen hin; die x-förmige Narbe auf seiner Stirn wirkte im Licht der Flammen fast schwarz. Wie üblich saß Zenkappa neben ihm, und seine schwarze Haut glänzte im Feuerschein. Irgendwie verband Achamian Benehmen und Stimme dieses Mannes mit einem spitzbübischen Zwinkern. In schlichter weißer Tunika saß Kellhus im Schneidersitz nahebei und glich einem aus dem Tempel geraubten Götterbild: bei aller Kontemplation aufmerksam; bei aller Ferne ganz Auge und Ohr. Eine Decke über den Schenkeln, lehnte Serwë sich an ihn; ihre Lider mochten schläfrig sein, doch ihre Augen leuchteten. Ihr makelloses Gesicht war wie immer atemberaubend, und wie stets schlug ihre Figur den Betrachter in Bann. In ihrer Nähe, wenn auch ein wenig vom Feuer entfernt, kauerte Cnaiür im Halbdunkel, starrte in die Flammen und biss wieder und wieder herzhaft in einen Laib Brot. Selbst beim Essen wirkte er wie auf dem Sprung, anderen das Genick zu brechen.
    Was für ein seltsamer Verein sitzt mir da gegenüber, dachte Achamian. Ein Verein, zu dem auch ich nun gehöre.
    Ob sie es fühlten? Ob sie spürten, dass das Ende nahe war?
    Er musste erzählen, was er wusste. Wenn er es seinen Brüdern schon nicht mitteilte, dann wenigstens jemand anderem – sonst würde er verrückt. Wäre Esmi doch mitgekommen!, dachte er, rief sich aber gleich zur Ordnung, um nicht noch tiefer in Schmerz zu versinken.
    Er setzte den Kelch ab und stand auf. Ehe er sich versah, saß er schon neben seinem alten Freund Krijates Xinemus, dem Marschall von Attrempus.
    »Xin…«
    »Was gibt’s, Akka?«
    »Ich muss mit dir reden«, begann er leise. »Es… es ist…«
    Kellhus schien abgelenkt. Dennoch wurde Achamian das Gefühl nicht los, beobachtet zu werden.
    »Erinnerst du dich noch«, fuhr er fort, »wie Ikurei Conphas mich in der letzten Nacht, die wir vor den Mauern von Momemn lagerten, abholte und zum Kaiserpalast brachte?«
    »Wie könnte ich das vergessen? Ich habe mir schreckliche Sorgen gemacht!«
    Achamian zögerte und hatte wieder vor Augen, wie ein alter Mann – der Oberste Berater des Kaisers – sich gegen seine Ketten bäumte. Dann kam ihm ein Gesicht in den Sinn, das sich wie Fäuste öffnete und in vorschnellende Hände verwandelte… ein Gesicht, das gierig um sich griff und zupackte.
    Xinemus betrachtete ihn im Schein des Feuers und runzelte die Stirn. »Was ist los, Akka?«
    »Ich bin Ordensmann, Xin, durch Eid und Pflicht gebunden wie du…«
    »Herr Cousin!«, rief Iryssas von der anderen Seite des Feuers. »Hört Euch das mal an! Erzähl’s ihm, Kellhus!«
    »Bitte, Iryssas«, entgegnete Xinemus scharf. »Sei doch…«
    »Hört ihm einfach zu! Vielleicht versteht ja Ihr, was das zu bedeuten hat.«
    Xinemus wollte seinen Verwandten zurechtweisen, doch es war zu spät. Kellhus hatte bereits zu reden begonnen.
    »Es ist nur ein Gleichnis«, sagte der Prinz von Atrithau, »das ich bei den Scylvendi gehört habe. Es geht so: Ein schlanker Jungstier und seine Kuhherde sind schockiert, als sie erfahren, dass ihr Besitzer einen anderen Bullen gekauft hat, der eine viel breitere Brust, weit dickere Hörner und ein erheblich aggressiveres Wesen hat. Kaum treiben die Söhne des Eigentümers den mächtigen Neuankömmling auf die Weide, senkt der Jungstier die Hörner und beginnt zu schnauben und zu stampfen. ›Nicht!‹, brüllen seine Kühe. ›Setz doch dein Leben nicht für uns aufs Spiel!‹ – ›Mein Leben aufs Spiel setzen?‹, tönt der Jungstier. ›Der soll nur wissen, dass ich ein Bulle bin!‹«
    Nach kurzer Stille brachen alle in Gelächter aus.
    »Ein Gleichnis der Scylvendi?«, japste Xinemus lachend. »Seid Ihr denn…?«
    »Hört mal!«, rief Iryssas durch den Tumult. »Ich verstehe das so:
    Unsere Würde, nein, unsere Ehre ist wertvoller als alles andere – sogar als unsere Frauen!«
    »Diese Geschichte bedeutet gar nichts«, sagte Xinemus und wischte sich Tränen aus den Augen. »Sie ist bloß ein Witz.«
    »Bei diesem Gleichnis geht es um Mut«, sagte Cnaiür mit kratziger Stimme, und alle verstummten – wohl weil sie, wie Achamian annahm, zutiefst erschrocken darüber waren, dass der wortkarge Barbar tatsächlich gesprochen hatte. Nun spuckte der Häuptling ins Feuer. »Alte Männer erzählen kleinen Jungen diese Parabel, um sie zu beschämen und zu lehren, dass Gesten bedeutungslos sind und nur der Tod wirklich ist.«
    Blickwechsel übers Feuer. Nur Zenkappa

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