Der Prinz von Atrithau
nichts«, krächzte Achamian, der sein Gesicht noch immer in den Händen vergraben hatte. Irgendwann war er aus dem Zelt gekrochen und hatte sich über das verglimmende Feuer gekauert. Nun begann es zu dämmern.
»Sind es die Träume?«
Er rieb sich das Gesicht und atmete tief ein.
Erzähl es ihm!
»Die Träume… Ja, es sind die Träume.«
Er spürte Kellhus auf ihn herunterblicken, hatte aber nicht den Mut aufzusehen. Als der Dûnyain ihm die Hand auf die Schulter legte, schrak er zusammen, drehte sich aber nicht weg.
»Es sind doch gar nicht die Träume, Akka. Es ist etwas anderes… Es ist mehr.«
Heiße Tränen liefen ihm in den Bart, doch er schwieg.
»Du hast kein Auge zugetan – schon lange nicht, stimmt’s?«
Achamian ließ den Blick über das Lager schweifen, über all die mit Zelten übersäten Abhänge und Felder. Vor einem Himmel, der ihn an kaltes Eisen denken ließ, hingen die Wimpel reglos an den Stangen.
Dann blickte er Kellhus an. »Ich sehe sein Blut in deinem Gesicht und verspüre dabei Hoffnung und Schrecken zugleich.«
Der Prinz von Atrithau runzelte die Stirn. »Also geht es um mich… Das hatte ich befürchtet.«
Achamian schluckte vernehmlich und warf fast unwillkürlich das Zahlenorakel. »Ja«, sagte er. »Aber so einfach ist es nicht.«
»Wie meinst du das?«
»Unter den vielen Träumen, die meine Ordensbrüder und ich ertragen müssen, gibt es einen, der uns besonders zu schaffen macht. Er hat mit Anasûrimbor Celmomas II. zu tun, dem König von Kûniüri – genauer gesagt: mit seinem Tod auf den Feldern von Eleneöt im Jahre 2146.« Achamian atmete tief durch und rieb sich wütend die Augen. »Celmomas war der erste große Widersacher der Rathgeber und das erste und ruhmreichste Opfer des Nicht-Gottes. Das erste Opfer! Er starb in meinen Armen, Kellhus. Er war mein meistgehasster und doch meistgeliebter Freund und starb in meinen Armen!« Achamian zog ein finsteres Gesicht und fuchtelte mit den Händen herum. »Ich meine… ich meine, er ist natürlich in Seswathas Armen gestorben…«
»Und das quält dich so? Dass ich…«
»Du verstehst mich nicht! Hör einfach zu… Celmomas hat vor seinem Tod zu mir, also zu Seswatha gesprochen. Zu uns allen hat er gesprochen…« Achamian schüttelte den Kopf, lachte seltsam in sich hinein und fuhr sich mit den Fingern durch den Bart. »Offen gesagt spricht er noch immer zu uns, Nacht für Nacht. Und dann stirbt er jedes Mal aufs Neue – und doch wie zum ersten Mal! Und er sagt…«
Achamian blickte auf und schämte sich seiner Tränen plötzlich nicht mehr. Wenn er vor diesem Mann, der Ajencis, selbst Inrau so ähnlich war, seine Seele nicht entblößen konnte – vor wem sollte er es sonst tun?
»Er sagt, ein Anasûrimbor – ein Anasûrimbor, Kellhus! – werde zurückkehren. Doch das werde am Ende aller Tage sein.«
Kellhus’ Miene – sonst so beneidenswert heiter – verdüsterte sich. »Was willst du damit sagen, Akka?«
»Verstehst du denn nicht?«, flüsterte Achamian. »Du bist dieser Anasûrimbor. Du bist der Vorbote! Deine Gegenwart bedeutet, dass alles von vorn beginnt…«
Gütiger Sejenus!
»Die Zweite Apokalypse, Kellhus… Es geht um die Zweite Apokalypse. Du bist das Zeichen!«
Kellhus ließ die Hand von Achamians Schulter gleiten. »Aber das ergibt keinen Sinn, Akka. Dass ich hier bin, bedeutet nichts. Nichts! Jetzt bin ich hier, und früher war ich in Atrithau. Und wenn mein Stammbaum so weit zurückreicht, wie du sagst, dann hat es immer einen Anasûrimbor gegeben, wenn auch vielleicht an weit weniger exponierten Orten…«
Der Blick des Prinzen von Atrithau ging ins Ungefähre und schien mit unsichtbaren Gegnern zu ringen. Einen Moment lang geriet seine strahlende Selbstbeherrschung ins Wanken, und er sah aus wie jeder von einer jähen Wendung der Verhältnisse Gebeutelte.
»Das ist nur ein…«, begann Kellhus, brach dann aber ab und schien außer Atem.
»… nur ein Zufall«, fuhr Achamian fort und rappelte sich auf Irgendwie hätte er sein Gegenüber gern beruhigend umarmt. »Das dachte ich auch… Offen gesagt war ich schockiert, als ich dir begegnete, doch ich hätte nie gedacht… Dieser Gedanke war einfach zu verrückt! Aber dann…«
»Dann?«
»Ich hab sie gefunden, Kellhus. Ich hab die Rathgeber gefunden… An dem Abend, an dem du und die anderen Proyas’ Sieg über den Kaiser feierten, wurde ich – von keinem Geringeren als Ikurei Conphas selbst – auf die Andiamin-Höhen geholt
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