Der Prinz von Atrithau
Prinzipien und verehren ihn daher als Liebe oder Wahrheit. Die Weisen aber denken Gott überhaupt nicht. Sie wissen, dass das Denken begrenzt ist und Gott, der ja unbegrenzt ist, daher nur Gewalt antun kann. Es reiche, sagen sie, dass Gott sie denke.
Memgowa: Das Buch der göttlichen Handlungen
Die Sünde des Götzendieners besteht nicht darin, Steine anzubeten – sie besteht darin, einen Stein höher zu preisen als die anderen.
Offenbarungen des Propheten Fane, Buch 8, Kap. 9, Vers 4
CARASKAND, SPÄTHERBST 4111
Erschöpfte Männer und mit Schlamm bespritzte Ochsen zogen riesige Belagerungstürme aus Holz und Fell zur westlichen Stadtmauer von Caraskand. Katapulte schleuderten Steine und loderndes Pech. Bogenschützen der Inrithi durchlöcherten die Brüstungen. Von den Wachtürmen und den Gängen hinter der Mauer feuerten die Heiden wahre Pfeilregen auf die Anrückenden ab. Überall in den dichten Reihen der Inrithi schrien Männer auf, wälzten sich im Schlamm und hielten sich die verwundeten Glieder. Andere drängten sich an den Rammböcken, duckten sich hinter ihre Schilde, blinzelten durch den Rauch und warteten auf das Signal zum Angriff. Ein Horn schmetterte durchs Getöse.
Holzbrücken donnerten auf die Zinnen. Ritter in eiserner Rüstung preschten vor, riefen »Sieg oder Tod!«, schwangen große Breitschwerter und warfen sich den Speeren und Krummschwertern der Kianene entgegen. Unten am Boden stürmten weitere Tausende vor und lehnten Leitern mit Eisenhaken an die Mauer. Steine und Leichen stürzten auf sie herab. Siedendes Öl ließ sie schreiend von den Sprossen fallen. Doch irgendwie erklommen die Inrithi die Zinnen, überstiegen sie und fielen über die Fanim her. Unter bewölktem Himmel wurde erbittert gekämpft. Gläubige wie Heiden stürzten in den Tod.
Die Nangael, die Anpleian und die finsteren Gesindalmänner konnten Abschnitte der Mauer einnehmen. Mehr und mehr Inrithi kamen aus den Belagerungstürmen gestürmt oder kraxelten über die Brüstungen und hielten nur kurz inne, um einen erstaunten Blick auf die große Stadt zu werfen, die unter ihnen lag. Einige griffen den nächstgelegenen Wachturm an. Andere mussten sich hinter ihre Schilde kauern, da die Bogenschützen der Heiden begannen, die Zinnen von nahe gelegenen Dächern aus zu beschießen. Pfeile zischten über sie hinweg und summten wie Libellen. Eimer voll brennendem Pech gingen zwischen ihnen nieder. Männer stürzten schreiend und brennend in den Tod. Ein Belagerungsturm ging in Flammen auf. Auf dem anderen herrschte so dichter Rauch, dass viele Nangael von der Brücke fielen, da die Nachdrängenden sie zwangen, blind vorwärtszustürmen.
Dann griffen Imbeyan und seine Granden die Belagerungstürme an, und es kam zu verbissenen Zweikämpfen.
Ihrer Türme beraubt und einem enormen Pfeilregen ausgesetzt, stürzten die Inrithi rascher von den Mauern als ihre Kameraden nachklettern konnten. Binnen weniger Momente schien einem jeden Angreifer ein Dutzend Pfeile im Schild oder in der Rüstung zu stecken. Die gegen Imbeyan kämpfenden Ritter wurden an ihren gefallenen Waffenbrüdern vorbei zurückgedrängt, bis Graf Iyengar, der die tödliche Verzweiflung in ihren Augen sah, das Zeichen zum Rückzug gab. Die Überlebenden flohen zu ihren Leitern, doch nur wenige erreichten lebend den Boden.
Noch zweimal versuchten die Inrithi in den nächsten Wochen, Caraskand zu stürmen, doch stets trieben Entschlossenheit und Kriegskunst der Kianene sie unter schlimmen Verlusten zurück.
Die Belagerung dauerte trotz Regen und Pest an.
Kaum war die Krankheit diagnostiziert, die die niederen Stände Aushöhlung und die Adligen Hemoplexie nannten, wurden die heilkundigen Priester von Hunderten bestürmt, die über Kopfschmerz und Frösteln klagten. Als Hepma Scaralla, der Oberpriester der Akkeägni, den Hohen Herren mitteilte, der Furchtbare Gott taste tatsächlich mit hemoplektischer Hand im Heiligen Krieg herum, machte sich bei den Inrithi Panik breit. Selbst nachdem Gotian gedroht hatte, über Deserteure und ihre Familien den Bann des Tempelvorstehers zu verhängen, flohen noch Hunderte aus Angst vor der Krankheit in die Berge von Enathpaneah.
Während die Gesunden die Mauern von Caraskand berannten und starben, blieben Tausende in ihren durchnässten Behelfszelten, erbrachen Speichel, hatten hohes Fieber oder litten an Schüttelfrost. Nach ein, zwei Tagen wurden ihre Augen trüb, und sie verloren – von
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