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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Propheten – war zum Greifen nah.
    »Erst befreien wir Caraskand«, hieß es, »dann Shimeh.«
    Shimeh – diesen heiligen Namen nur auszusprechen genügte, die Leidenschaft des Heiligen Kriegs neu zu entfachen.
    Menschenmengen zogen in die Hügel, um die Lehrvorträge des Kriegerpropheten zu hören, von dem viele glaubten, er habe den Heiligen Krieg aus der Wüste gerettet. Tausende ritzten sich Stoßzähne in die Arme und wurden seine Zaudunyani. Der Rat der Hohen und Niederen Herren hörte seine Ratschläge nicht ohne Beklemmung. Der Prinz von Atrithau hatte sich dem Heiligen Krieg verarmt angeschlossen, befehligte mittlerweile aber ein Kontingent, mit dem sich kein anderes messen konnte.
    Als die Männer des Stoßzahns den ersten Angriff auf die Türme von Caraskand vorbereiteten, verdunkelte sich der Himmel, und es begann zu regnen. Dreihundert Tydonni kamen in einer Flutwelle südlich der Stadt ums Leben. Dutzende starben, als ein von Pionieren gegrabener Tunnel einstürzte. Ausgetrocknete Flüsse verwandelten sich in reißende Ströme. Es regnete unaufhörlich, so dass ausgedörrtes Leder zu faulen begann und Kettenhemden im Kies gewalkt werden mussten, um nicht zu rosten. Vielerorts war der Boden weich und glatt wie verfaulte Birnen, und als die Inrithi ihre großen Belagerungstürme in Position bringen wollten, stellten sie fest, dass sie sich nicht von der Stelle bewegen ließen.
    Die winterliche Regenzeit hatte begonnen.
    Das erste Pestopfer war ein gefangener Kianene. Seine Leiche wurde mit einem Katapult in die Stadt geschleudert – wie die Leichen derer, die folgen sollten.
     
     
    IOTHIAH, SPÄTHERBST 4111
     
    Mamaradda hatte beschlossen, zuerst den Hexenmeister zu töten. Ohne zu wissen, warum, fand der Hauptmann der Javreh die Vorstellung, einen Hexer umzubringen, geradezu sexuell erregend. Auf die Idee, es könnte damit zusammenhängen, dass auch seine Gebieter Hexenmeister waren, kam er nicht.
    Er betrat zügigen Schritts die Kapelle und hielt das Chorum, das seine Herren ihm gegeben hatten, mal locker in der Hand, mal in der geballten Faust. Der Hexenmeister hing wie eine Jagdtrophäe an der gegenüberliegenden Wand. Er war übel zugerichtet und in die orangefarben flackernde Glut dreier Kohlenbecken getaucht, die in seiner Nähe standen. Als Mamaradda näher kam, merkte er, dass der Mann sanft hin und her pendelte, als würde er in einem schwachen Luftzug hängen. Dann hörte er ein schrilles Kratzen wie von Eisen auf Glas.
    Er hielt auf halbem Weg inne und richtete den Blick intuitiv auf den Boden unter dem Hexenmeister, auf die schwarzrote Kalligrafie des Uroborianischen Kreises also.
    Am Rand des Kreises kauerte etwas Kleines – eine Katze etwa? Er schluckte und blinzelte. Das rasche, helle Kratzen tat ihm in den Ohren weh, als würde sich jemand mit einem rostigen Messer die Zähne feilen.
    Hoppla!
    Nun erkannte er, dass es sich nicht um eine Katze, sondern um einen Menschen handelte, einen winzigen Menschen, der am Uroborianischen Kreis kratzte.
    Oder war es eine Puppe?
    Mamaradda schnappte in plötzlichem Entsetzen durch die Zähne Luft und griff nach seinem Messer.
    Das Kratzen verstummte. Der Hexenmeister hob das trübe, bärtige Gesicht und musterte Mamaradda mit glitzernden Augen. Dem folgte ein Moment lähmenden Entsetzens.
    Der Kreis ist durchbrochen!
    Der Javreh hörte ein Murmeln… und die Sonne funkelte aus Mund und Augen des Hexenmeisters.
    Lichter, die den gebogenen Klingen der Khirgwi ähnelten, umtanzten den Kriegersklaven wie Spinnenbeine. Staub- und Scherbenfontänen Schossen aus dem Mosaikboden hoch. Selbst durch die Luft schien ein Riss zu gehen.
    Mamaradda hob heulend die Arme und wurde von gespenstischem Leuchten geblendet.
    Dann waren die Lichter verschwunden, und er war unberührt – unverletzt!
    Er erinnerte sich an das Chorum in seiner Faust. Mamaradda, der Hauptmann der Javreh, lachte.
    Wie von Geistern getreten, kippten die Kohlenbecken um, und glühende Kohlenstücke landeten in seinem Gesicht. Schreiend ließ der Hauptmann sein Chorum fallen.
    Sein Herz barst in der Brust, und Feuer flackerte ihm aus Körperöffnungen und Fingernägeln. Von Mamaradda blieb kaum mehr als ein Haufen verkohlter Knochen übrig.
     
     
    Vergeltung zog gottgleich durch die Flure der Anlage.
    Achamian sang sein Lied mit dem blinden Zorn eines Tiers, trennte Wände vom Boden und ließ Decken hochgehen, als wäre der ganze Gebäudekomplex aus Pappmaché.
    Als er die

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