Der Prinz von Atrithau
hatte sich von ihnen abgewandt. Sie waren verzweifelt.
Und für Verzweifelte verwandelt sich die Frage nach den Ursachen der Misere früher oder später in die Frage, wer an der Situation schuld ist.
Der Regen ging prasselnd auf den Pavillon nieder.
»Worum geht’s denn, General?«, fragte Ikurei Conphas, runzelte die Stirn und setzte hinzu: »Sarcellus, hab ich Recht?«
Obwohl der Kommandierende General der Tempelritter seinen Hochmeister Gotian oft zu den Beratungen begleitet hatte, war Conphas ihm nie vorgestellt worden, zumindest nicht formell. Sarcellus klebte das dunkle Haar klatschnass am Schädel, und Regenwasser lief ihm übers Gesicht, das in Kindertagen hübsch und lausbubenhaft ausgesehen haben musste. Der weiße Umhang über seinem Kettenhemd war so sauber, dass er wie ein Anachronismus wirkte – eine unerwartete Erinnerung an die Zeit, da der Heilige Krieg noch vor Momemn kampierte. Alle Übrigen nämlich, auch Conphas, liefen nur noch in Lumpen oder in Sachen herum, die sie von den Kianene geplündert hatten.
Der Tempelritter nickte und sah Conphas dabei weiter in die Augen. »Ich möchte nur ein paar beunruhigende Dinge mit Euch besprechen.«
»Auf Beunruhigendes bin ich immer gespannt – das könnt Ihr mir glauben«, sagte Conphas lächelnd und fügte hinzu: »Ich bin ein ziemlicher Masochist, falls Ihr das noch nicht bemerkt habt.«
Sarcellus lächelte einnehmend. »Das haben die Beratungen sehr deutlich gemacht.«
Conphas hatte den Tempelrittern nie getraut. Zu viel Hingabe, zu viel Entsagung – Selbstaufgabe hatte seiner Meinung nach mehr mit Wahnsinn als mit bloßer Dummheit zu tun.
Zu dieser Einschätzung war er in seiner Jugend gelangt, als er sah, wie oft und begeistert Menschen sich im Namen des Glaubens oder der Gesinnung selbst Schaden zufügten oder sich sogar ruinierten. Jeder schien Anweisungen von einer Stimme zu bekommen, die er, Conphas, nicht hören konnte, von einer Stimme aus dem Nirgendwo. Sie begingen Selbstmord, wenn sie sich entehrt fühlten, und verkauften sich in die Sklaverei, um ihre Kinder zu ernähren. Sie handelten, als gäbe es in der Welt etwas Schlimmeres als Tod oder Versklavung und als könnten sie es nicht ertragen, wenn anderen Schaden zugefügt wurde.
So sehr Conphas sich auch den Kopf zerbrach: Er vermochte weder den Sinn dieser Selbstaufopferung zu verstehen, noch konnte er sich das damit verbundene Gefühl vorstellen. Natürlich gab es Gott, die Heiligen Schriften und diesen ganzen Unfug, und die Stimme, die von dort kam, konnte er vernehmen. Die Drohung ewiger Verdammnis vermochte dem lächerlichsten Opfer eine Art Sinn zu verleihen. Diese Stimme kam aus einer konkreten Ecke. Aber die andere Stimme?
Stimmen zu hören, trieb einen in den Wahnsinn. Um das bestätigt zu bekommen, musste man nur über den nächsten Marktplatz schlendern, wo vereinzelte Gestalten herumstanden und »Was? Was?« riefen. Und auch Tempelritter wurden durch das Hören von Stimmen zu Fanatikern.
»Was beunruhigt Euch denn so?«, fragte Conphas.
»Der Mann, der Kriegerprophet genannt wird.«
»Prinz Kellhus also.«
Conphas beugte sich im Klappstuhl vor und lud Sarcellus mit einer Handbewegung ein, Platz zu nehmen. Durch den Dunst seiner Rauchfässer drang Modergeruch. Der Regen hatte nachgelassen und trommelte nur noch wie mit Fingern auf das Zeltdach.
»Ja, Prinz Kellhus«, sagte Sarcellus und strich sich Wasser aus dem Haar.
»Was ist mit ihm?«
»Wir wissen, dass…«
»Wir?«
Der Tempelritter blinzelte verärgert. Trotz deines frommen Auftretens, dachte Conphas, gibt es etwas an dir – vielleicht eine gewisse Einbildung –, das den mit Goldfaden auf deine Brust gestickten Stoßzahn Lügen straft. Vielleicht hab ich dich falsch eingeschätzt. Womöglich bist du ein Mann der Vernunft.
»Ja«, fuhr Sarcellus fort. »Ich und ein paar meiner Brüder…«
»Gotian aber nicht?«
Die Grimasse, die Sarcellus nun zog, empfand Conphas als höchst angenehm. »Nein, Gotian nicht – jedenfalls noch nicht.«
Conphas nickte zustimmend. »Fahrt bitte fort.«
»Wir wissen von Eurem Versuch, Prinz Kellhus zu ermorden.«
Ikurei Conphas schnaubte so amüsiert wie beleidigt. Dieser Sarcellus war entweder verwegen oder unverschämt. »So, wissen tut Ihr das?«
»Wir nehmen es zumindest an«, verbesserte sich Sarcellus. »Und Ihr sollt wissen, dass wir Eure Meinung teilen. Besonders nach dem Irrsinn der Wüste.«
Conphas runzelte die Stirn. Er wusste, worauf sein
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