Der Prinz von Atrithau
Xinemus reiste Esmenet mit Kellhus, und Achamian konnte sich keinen sichereren Ort vorstellen als seine Nähe. Kellhus konnte nicht sterben, oder? Schließlich war er der Vorbote und gesandt, die Menschheit vor der Zweiten Apokalypse zu retten.
Auch diese Gewissheit war aus seiner Qual hervorgegangen.
»Du fühlst dich an wie der Wind!«, rief Xinemus, und seine Stimme wurde schriller. »Du riechst wie das Meer!«
Kellhus würde die Welt retten. Und er, Drusas Achamian, würde sein Berater sein.
»Mach die Augen auf, Xin!«, rief der Marschall mit versagender Stimme. Achamian sah Speichel im Sonnenlicht schillern. »Mach die verdammten Augen auf!«
Ein mächtiger Brecher krachte gegen den schwarzen Felsen unter ihnen, und Gischt wehte durch die Luft.
Xinemus ließ den Weinkelch fallen und schlug mit den Händen wild Richtung Himmel.
Achamian hetzte zwei Schritte vor und hielt dann an.
»Jedes Geräusch lässt mich zusammenschrecken«, keuchte der Marschall. »Nie habe ich solche Angst erlitten! Bitte, Gott… Bitte!«
»Xin«, flüsterte Achamian.
»Ich war anständig! Wirklich anständig!«
»Xin!«
Der Marschall verstummte und stand eine Weile reglos da.
»Akka?«, fragte er dann, nahm die Arme herunter und schlang sie sich so fest um den Leib, als wollte er sich in die Finsternis hineinpressen, die nur er sah. »Akka, nein! Nein!«
Ohne zu überlegen, sprang Achamian herbei und umarmte ihn.
»Daran bist du schuld!«, wimmerte Xinemus an seiner Brust. »Das ist dein Werk!«
Achamian umschlang den schluchzenden Freund und war überrascht, wie breit seine Schultern waren.
»Wir müssen aufbrechen«, murmelte er. »Wir müssen die anderen finden.«
»Ich weiß«, keuchte der Marschall von Attrempus. »Wir müssen Kellhus finden!«
Achamian schmiegte sein Kinn an den Kopf des Freundes und wunderte sich, dass seine Wangen trocken waren.
»Ja. Kellhus.«
BEI CARASKAND, WINTER 4111
Das älteste Bauwerk des verlassenen Landguts stammte aus der Zeit des Ceneischen Reichs. Bei seinem ersten Besuch hatte Conphas sich ein Vergnügen daraus gemacht, einen chronologischen Rundgang durch die Gebäude zu machen, und war zuletzt in dem kleinen marmornen Gotteshaus gelandet, das ein Fürst der Kianene vor Generationen hatte errichten lassen. Conphas konnte es nicht leiden, wenn er die Anordnung der Gebäude nicht genau kannte, in denen er Quartier nahm. Darin bekundete sich, wie er vermutete, die Neigung von Generälen, jeden Ort als Schlachtfeld zu sehen.
Der Adel der Inrithi – Scharen von Berittenen, die sich mit Umhängen gegen den endlosen Nieselregen schützten – traf im Laufe des Nachmittags ein. Conphas stand mit Martemus im Halbdunkel einer überdachten Veranda und sah seine Gäste über den Hof hasten. Wie sehr sie sich seit jenem Nachmittag im Privatgarten seines Onkels verändert hatten! Wenn er die Augen schloss, sah er sie noch immer zwischen dekorativen Zypressen und Tamarisken verstreut – mit ihren hoffnungsvollen, arglosen Mienen, ihrem arroganten und theatralischen Auftreten und einem Ornat, der die Eigenarten ihrer Völker spiegelte. Im Rückblick schien alles an ihnen… unerprobt. Nach Monaten des Kriegs, der Wüste und der Krankheit hingegen sahen sie so grimmig und streng aus wie Infanteristen, die ständig die Dienstzeit verlängern – wie beinharte Veteranen also, die von den Rekruten bewundert und von den jungen Offizieren gefürchtet werden. Sie schienen ein eigenes Volk zu sein, als seien die Unterschiede zwischen den Galeoth und den Leuten aus Conriya, den Ainoni und den Tydonni angesichts der Anstrengungen der letzten Monate geschmolzen wie Gletschereis.
Und natürlich ritten sie die Pferde und trugen sie die Gewänder der Kianene. Man darf das Äußerliche nicht gering schätzen, denn es prägt.
Conphas warf Martemus einen Seitenblick zu. »Sie sehen heidnischer aus als die Heiden selbst.«
»Die Wüste hat die Kianene geschaffen«, sagte der General achselzuckend, »und uns von Grund auf verändert.«
Conphas sah ihn nachdenklich an und war seltsam beunruhigt.
»Da hast du sicher Recht.«
Martemus warf ihm einen langen, freundlichen Blick zu. »Würdet Ihr mir verraten, worum es hier geht? Warum habt Ihr die Hohen und Niederen Herren heimlich zusammengerufen?«
Conphas wandte sich den schwarzen Hügeln Enathpaneahs zu, die hinter Regenschleiern lagen. »Um den Heiligen Krieg zu retten – warum sonst?«
»Ich dachte, uns kümmern nur die Belange des
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