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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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weißt du das, Scylvendi. Irgendwas ist bei Anwurat mit dir geschehen. Ich muss wissen, was.«
    Proyas war noch immer krank, anscheinend sogar schwer krank. Er saß in Wolldecken gehüllt auf einem Klappstuhl, und sein früher so gesundes Gesicht war abgehärmt und bleich. Bei jedem anderen hätte Cnaiür so eine Schwäche ekelerregend gefunden, aber Proyas war nicht jeder andere. Im Laufe der letzten Monate hatte der junge Prinz etwas Beunruhigendes bewirkt: Er hatte sich bei Cnaiür einen Respekt erworben, der selbst anderen Scylvendi und erst recht natürlich Fremdlingen gegenüber völlig unangemessen war. Sogar krank schien Proyas ihm hoheitsvoll.
    Dabei ist er nur ein ganz gewöhnlicher Inrithi!
    »Nichts ist bei Anwurat geschehen«, sagte Cnaiür.
    »Ach? Und warum bist du damals weggerannt und verschwunden?«
    Cnaiür zog eine finstere Miene. Was sollte er sagen?
    Dass er verrückt geworden war?
    Er hatte viele schlaflose Nächte lang versucht, Anwurat Sinn abzuringen. Er wusste noch, dass ihm die Schlacht entglitten war und er einen Kellhus getötet hatte, der nicht Kellhus war. Er wusste, er hatte am Strand gesessen und dem Meer dabei zugesehen, mit Fäusten aus schäumendem Weiß an die Küste zu schlagen. Er erinnerte sich an tausend Einzelheiten, die aber allesamt gestohlen wirkten – wie Geschichten, die man von einem Jugendfreund erzählt bekommen hat.
    Cnaiür hatte den Großteil seines Lebens mit Irrsinn verbracht. Er hatte gehört, wie seine Brüder redeten, und verstanden, wie sie dachten, sich ihre Worte und Gedanken aber trotz endloser Beschuldigungen und Jahren der Schande nicht zu eigen machen können. Er war eine aufsässige, rebellische Seele und hatte immer einen Gedanken, ein Verlangen zu viel. Doch wie weit seine Seele auch von den Pfaden des Anstands abwich: Er hatte stets Zeugnis von ihrem Verrat abgelegt und war sich des Ausmaßes seiner Verderbtheit immer bewusst gewesen. Seine Verwirrung war die eines Menschen, der den Irrsinn eines anderen beobachtet. Wie habe ich nur solche Dinge denken können?, hatte er sich immer wieder gefragt.
    Er war immer Herr seines Irrsinns gewesen.
    Bei Anwurat aber war es anders. Sein innerer Beobachter war zusammengebrochen, und erstmals hatte der Irrsinn ihn beherrscht. Wochenlang war er kaum mehr als eine Leiche gewesen, die an ein durchgegangenes Pferd gebunden war. Wie war seine Seele damals galoppiert!
    »Was geht dich mein Kommen und Gehen an?«, stieß Cnaiür hervor und schob die Daumen unter seinen gepanzerten Gürtel. »Ich bin nicht dein Vasall.«
    Proyas’ Miene verdüsterte sich. »Nein, aber du genießt unter meinen Beratern hohes Ansehen.« Er sah auf, und seine Augen verrieten ein Zögern. »Vor allem, seit Xinemus…«
    Cnaiür verzog das Gesicht. »Du machst zu viel…«
    »Du hast mich in der Wüste gerettet«, sagte Proyas.
    Cnaiür unterdrückte die Sehnsucht, die ihn plötzlich befiel. Irgendwie vermisste er die Wüste – viel mehr als die Steppe. Warum wohl? Wegen der Anonymität der Spuren, der Unmöglichkeit, einen Weg oder eine Fährte zu hinterlassen? Aus Respekt? Die Carathay hatte schließlich weit mehr Menschen getötet als er. Oder hatte sein Herz sich in ihrer Trostlosigkeit erkannt?
    So viele verfluchte Fragen! Schluss damit! Schluss…
    »Natürlich habe ich dich gerettet«, sagte Cnaiür. »Schließlich verdanke ich dir all mein Prestige.« Diese Bemerkung bedauerte er fast sofort. Sie hatte abweisend klingen sollen, sich aber wie ein Eingeständnis angehört.
    Einen Moment lang wirkte Proyas, als wollte er vor Enttäuschung aufschreien, doch stattdessen senkte er den Kopf und musterte die Matten unter seinen bleichen Füßen. Als er wieder aufsah, war seine Miene zugleich klagend und herausfordernd.
    »Hast du gewusst, dass Conphas kürzlich eine geheime Beratung anberaumt hat, um über Kellhus zu sprechen?«
    Cnaiür schüttelte den Kopf.
    Proyas betrachtete ihn prüfend.
    »Dann reden Kellhus und du also noch immer nicht miteinander?«
    »Nein.« Cnaiür blinzelte und sah flüchtig das Gesicht des schreienden Dûnyain aufbrechen. War das eine Erinnerung? Wann war das geschehen?
    »Und warum nicht, Scylvendi?«
    Cnaiür hatte Mühe, sein höhnisches Grinsen zu verbergen. »Wegen der Frau.«
    »Du meinst Serwë?«
    Er wusste noch, dass Serwë blutüberströmt geschrien hatte. War auch das bei Anwurat geschehen? War es überhaupt passiert?
    Sie war mein Fehler.
    Was hatte ihn nur geritten, sie an dem Tag mitzunehmen,

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