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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Horizont geworden.
    Für Kellhus fielen Sehen und Gesehenwerden in eins. Er allein war ganz. Mehr noch: Er stand irgendwie draußen und sah doch von innen, erschuf die Ganzheit also erst.
    Sie legte den Kopf in den Nacken und sah ihm in die Augen.
    Du bist hier, oder? Du bist bei mir und siehst mich von innen.
    »Ja«, sagte Kellhus, und es kam ihr vor, als lasse ein Gott seine Augen auf ihr ruhen.
    Sie blinzelte zwei Tränen weg.
    Ich bin deine Frau!
    »Und du musst stark sein«, sagte Kellhus über die klägliche Stimme des Kranken hinweg. »Gott säubert den Heiligen Krieg und reinigt uns für den Marsch auf Shimeh.«
    »Aber du hast gesagt, wir bräuchten die Krankheit nicht zu fürchten.«
    »Die Krankheit nicht, aber die Hohen Herren. Viele beginnen, Angst vor mir zu haben, und manche glauben, Gott strafe den Heiligen Krieg meinetwegen. Andere sorgen sich um ihre Macht und ihre Privilegien.«
    Befürchtete er eine Attacke, einen Krieg innerhalb des Heiligen Kriegs?
    »Dann musst du mit ihnen reden, Kellhus, und ihnen die Augen öffnen!«
    Er schüttelte den Kopf. »Wie du weißt, schätzt der Mensch Schmeichler und verspottet die, die ihn zurechtweisen. Früher, als mir nur Sklaven und einfache Soldaten folgten, konnten sie es sich leisten, über mich hinwegzusehen. Nun aber, da ihre meistgeschätzten Berater und Vasallen zu mir finden, fangen sie an, die Grundlage ihrer Macht zu begreifen – und damit auch ihre Verletzbarkeit.«
    Er umarmt mich! Dieser Mann umarmt mich!
    »Und worauf beruht ihre Macht?«
    »Auf dem Glauben derer, denen sie befehlen.«
    Esmenet sah ihm scharf in die Augen.
    »Du und Serwë«, fuhr er fort, »ihr dürft unter keinen Umständen unbegleitet reisen. Sie würden euch gegen mich verwenden, wenn sie könnten.«
    »Ist die Lage schon so verzweifelt?«
    »Noch nicht, aber das kann sich sehr bald ändern. Solange uns Caraskand weiter Widerstand leistet…«
    Jähes, bodenloses Entsetzen packte Esmenet. Vor ihrem geistigen Auge schlichen Attentäter durch die finstere Nacht, während mit Gold geschmückte Verschwörer bei Kerzenlicht grimmig dreinschauten. »Werden sie versuchen, dich zu töten?«
    »Ja.«
    »Dann musst du sie töten!«
    Die ungestüme Gedankenlosigkeit ihrer Worte erschreckte sie. Aber sie bedauerte sie nicht.
    »Solche Dinge in so einer Nacht zu sagen!«, rügte Kellhus sie lachend.
    Ihre Gewissensbisse von vorhin waren plötzlich wieder da. Serwë hatte heute Nacht ein Kind geboren! Kellhus hatte einen Sohn! Und sie selbst? Sie suhlte sich in ihren Fehlern und Verlusten! Warum hast du mich verlassen, Akka?
    Sie schluchzte schmerzlich auf. »Kellhus«, murmelte sie, »ich schäme mich so! Ich hab sie beneidet! Schrecklich beneidet!«
    Er lachte leise und fuhr ihr mit der Nase durchs Haar.
    »Du bist das Brennglas, durch das ich meine Flamme entzünde, Esmenet, bist Mutter von Stämmen und Nationen, zeugendes Feuer. Du bist Unsterblichkeit, Hoffnung und Geschichte, bist mehr als der Mythos, mehr als die Heiligen Schriften. Du bist die Mutter all dessen, Esmenet, und du bist mehr.«
    Sie atmete die regnerische Luft tief ein und schlang seine Arme dabei fest um sich. Seit den ersten Tagen in der Wüste hatte sie es * gewusst. Und deshalb hatte sie ihre Hurenmuschel – den Talisman zur Verhütung, den die Hexen verkauften – in den Sand geworfen.
    Du bist das zeugende Feuer.
    Sie würde sich ihm nicht mehr verweigern.
     
     
    AN DER KÜSTE DES MENEANOR-MEERS BEI IOTHIAH, SPÄTHERBST 411
     
    SAG ES MIR!
    Eine gewaltige Windhose, die alles aufwärts sog, riss Staub und Sranc in den Himmel hinauf.
    WAS SIEHST DU?
    Achamian erwachte ohne Aufschrei, lag reglos da und rang nach Atem. Er blinzelte Tränen aus den Augen, weinte aber nicht. Die Sonne schien durch die Fensterläden und fiel auf den dunkelrot gestreiften Teppich in der Zimmermitte. Er streckte sich tiefer in seine warmen Laken und wunderte sich einmal mehr über den allmorgendlichen Frieden.
    Schon der Luxus hier schien unglaublich. Nach der Zerstörung des Anwesens der Scharlachspitzen in Iothiah waren Xinemus und er Ehrengäste von Baron Shanipal geworden, den Proyas als seinen Vertreter in Shigek stationiert hatte. Anscheinend war ihnen einer der Vasallen des Barons begegnet, als sie nackt durch die Stadt gewandert waren, hatte Xinemus erkannt und sie in die Obhut Shanipals gegeben, der sie seinerseits zur Genesung auf dieses pompöse Landgut der Kianene an der Küste des Meneanor-Meers gebracht hatte.
    Seit

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