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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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die Vorherrschaft über seinen Sohn zu sichern, fortwährend Schande bereitete.
    »Ich bin hier der Starke!«, hatte er einmal im Vollrausch gebrüllt. »Ich!«
    Bei solchen Gelegenheiten vermochte Achamian nicht mehr als atemloses Mitleid aufzubringen.
    Er empfand Trauer und Mitgefühl, aber beweinen konnte er seinen Freund nicht. War also auch ihm etwas Essentielles ausgestochen worden? Oder hatte er etwas zurückgewonnen? Er fühlte sich weder stark noch entschlussfreudig, wusste aber, dass er mittlerweile beides geworden war. »Die Qual lehrt«, hatte der Dichter Protathis einst geschrieben, »was die Liebe vergessen hat.« War dies das Geschenk der Scharlachspitzen gewesen? Hatten sie ihm diese Lektion eingebrannt?
    Oder hatten sie ihn einfach gefühllos geschlagen?
    Wie auch immer: Er würde sie brennen sehen, vor allem Iyokus. Er würde ihnen die Früchte seiner neu erworbenen Sicherheit zeigen.
    Vielleicht war der Hass ja ihr Geschenk gewesen.
    Nachdem er einige Sklaven nach Xinemus gefragt hatte, entdeckte er ihn. Er saß allein auf einer der seeseitigen Terrassen und becherte.
    Die Morgensonne verhieß warme Haut in kühler Luft, was Achamian stets als aufmunternd empfunden hatte. Das Brandungsrauschen und der Salzwassergeruch weckten Erinnerungen an seine Jugend. Das Meer erstreckte sich bis zum Horizont, und seine türkisfarbenen Untiefen gingen in bodenloses Blau über.
    Achamian atmete tief ein und näherte sich dem Marschall, der sich – einen Kelch in Händen – zurückgelehnt und die Füße aufs glasierte Ziegelgeländer gesetzt hatte. Am Abend zuvor hatte Baron Shanipal angeboten, die Kosten ihrer Schiffsreise nach Joktha, dem Hafen von Caraskand, zu übernehmen. Achamian wollte, nein, musste schnellstmöglich abreisen, aber nicht ohne Xinemus. Irgendwie wusste er, dass der Marschall sterben würde, wenn er ihn zurückließe. Kummer und Verbitterung hatten schon größere Männer getötet als ihn.
    Er hielt inne, ging seine Argumente durch und machte sich auf eine anstrengende Auseinandersetzung gefasst.
    Unvermittelt rief Xinemus: »All diese Finsternis!«
    Er ist mal wieder total betrunken, dachte Achamian, als er die hellroten Flecken auf der weißen Leinentunika seines Freundes bemerkte.
    Er öffnete den Mund, brachte aber kein Wort heraus. Was sollte er auch sagen? Dass Proyas ihn brauchte? Proyas hatte Xinemus all sein Land und seine Titel entzogen! Dass der Heilige Krieg ihn brauchte? Er wäre ihm nur eine Last, und das wusste er genau.
    Shimeh! Er ist doch gekommen, um die heilige Stadt zu sehen!
    Xinemus nahm die Füße vom Geländer und beugte sich vor.
    »Wohin führst du, Finsternis? Was hast du zu bedeuten?«
    Achamian musterte den Freund und die Schattierung seines bärtigen Profils. Wie stets verschlug der Anblick der leeren Augenhöhlen ihm den Atem. Es war, als würden dem Marschall für immer Messer aus den Augen ragen.
    Xinemus reckte eine Handfläche der Sonne entgegen, als wollte er sich eines Abstands vergewissern. »Na, Finsternis? Bist du immer so gewesen? Und warst du schon immer hier?«
    Achamian blickte voller Gewissensbisse zu Boden. Sag was!
    Aber er brachte einfach nichts heraus. Was sollte er auch sagen? Dass er Esmenet unbedingt finden musste?
    Dann gehl Geh und such deine Hure. Aber lass mich in Frieden!
    Xinemus kicherte und taumelte von einer Leidenschaft in die andere, wie Betrunkene es oft tun.
    »Klinge ich verbittert, Finsternis? Oh, ich weiß, dass du nicht so schlimm bist. Du ersparst mir die Schmach, Achamians Gesicht sehen zu müssen… «
    Zunächst war Achamian so versessen auf Neuigkeiten vom Heiligen Krieg gewesen, dass er kaum um Xinemus und dessen Verlust hatte trauern können. Während seiner Folterqualen war Esmenet ihm undenkbar gewesen, als ob etwas in ihm begriffen hätte, welche Verletzbarkeit mit ihr verbunden war. Doch seit er wieder bei Sinnen war, konnte er an niemanden sonst denken – außer vielleicht an Kellhus. Was gäbe er darum, sie in den Armen zu halten und mit Gelächter, Tränen und Küssen zu überschütten! Welche Freude würde ihre Freude, ihr ungläubiges Weinen ihm bereiten!
    Er sah ganz deutlich vor sich, wie es sein würde.
    »Ich möchte doch bloß wissen«, rief Xinemus mit trunkener Beredsamkeit, »wer du bist!«
    Obwohl er anfangs allen Grund gehabt hatte, das Schlimmste zu fürchten, wusste Achamian, dass sie lebte. Gerüchten zufolge war der Heilige Krieg beim Durchqueren Khememas beinahe untergegangen. Aber laut

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