Der Prinz von Atrithau
in den Falten seines Umhangs.
»Ergib dich!«, schluchzte sie. »Mein Herr und Meister, du musst dich ergeben! Stirb hier nicht! Du darfst nicht sterben!«
Sie spürte den zärtlichen Blick ihres Propheten auf sich ruhen, spürte seine Umarmung, schaute ihm ins Gesicht und sah Liebe in seinem strahlenden, entrückten Blick. Liebe, die ihr galt! Ihr, Serwë, der ersten Frau und Geliebten des Kriegerpropheten, dem Mädchen, das einst ein Nichts gewesen war…
Tränen liefen ihr über die Wangen. »Ich liebe dich!«, rief sie. »Ich liebe dich, und du darfst nicht sterben!«
Sie sah hinunter auf das schreiende Kind zwischen ihnen. »Unser Sohn!«, schluchzte sie. »Unser Sohn braucht dich!«
Grobe Hände zerrten an ihr, und der Schmerz, den sie empfand, als sie von Kellhus weggerissen wurde, war schlimmer als jeder Schmerz zuvor. Mein Herz! Sie reißen mir das Herz aus!
»Er ist ein Gott!«, kreischte sie. »Seid ihr denn blind? Er ist ein Gott!«
Sie wollte sich aus dem Griff des Mannes befreien, der sie festhielt, doch er war zu stark. Als er dann fragte: »Gemäß den Heiligen Schriften?«, merkte sie, dass es Sarcellus war.
»Gemäß den Heiligen Schriften«, bestätigte der Hochmeister, doch in seiner Stimme lag nun Mitleid.
»Aber sie hat ein Kind!«, rief ein anderer. Es war der Scylvendi… Was meinte er damit? Sie blickte in seine Richtung, sah mit ihren verweinten Augen und im Gegenlicht aber nur eine dunkle Silhouette vor kriegerisch gestimmten Männern stehen.
»Das tut nichts zur Sache«, entgegnete Gotian, und eine irre Entschlossenheit ließ seine Stimme wieder hart werden.
»Mein Kind!« Hatte die Stimme des Scylvendi etwa nach Schmerz und Verzweiflung geklungen?
Dein Kind doch nicht! Kellhus? Was war hier los?
»Dann nimm es«, sagte Gotian knapp, als wollte er weitere Peinlichkeiten im Keim ersticken.
Jemand zog ihr das heulende Kind aus den Armen. Wieder war ihr, als werde ihr das Herz ausgerissen, und wieder war der Schmerz fürchterlich.
Nein… Moënghus? Was geht hier vor?
Serwë kreischte, bis ihre Augen Flammen wurden und ihr Gesicht zu Staub zerfiel.
Ein Messer blitzte in der Sonne – Sarcellus’ Messer. Dann brandete teils Jubel, teils Entsetzen auf.
Serwë spürte ihr Leben aus der Brust strömen. Sie bewegte die Lippen, um dem göttlichen Mann neben ihr noch etwas zu sagen, brachte aber keinen Ton heraus und keinen Atemzug zuwege. Sie hob die Hände, und dunkelrote Tropfen fielen von ihren Fingern.
Mein Prophet, mein Liebster – wie kann das sein?
Ich weiß es nicht, süße Serwë…
Und während der Himmel und die lärmenden Gesichter ringsum im Dunkel versanken, erinnerte sie sich seiner einstigen Worte.
»Du bist die Unschuld, süße Serwë – das einzige Herz, dem ich nichts beibringen muss… «
Sie nahm flüchtig ein letztes, schläfriges Aufflackern der Sonne wahr, als wäre sie ein Kind, das unter einem lichten Baum aus seinen Träumen schreckt.
Du bist die Unschuld, Serwë.
Die lichte Baumkrone verdüsterte sich und schien nun aus warmer Wolle zu sein. Wie ein Totenhemd. Die Sonne war endgültig versunken.
Du selbst bist die Gnade, die du suchst.
Aber mein Kind…
23. Kapitel
CARASKAND
Bei Menschen schließt sich kein Kreis. Wir bewegen uns stets in Spiralen.
Drusas Achamian: Handbuch des Ersten Heiligen Kriegs
Wer Prophezeiungen macht, den bringt vor ein Priesterkollegium. Wenn dieses Kollegium die Prophezeiungen ab wahr befindet, dann zollt ihm Anerkennung, denn sein Geist ist rein. Befindet es sie aber als falsch, dann fesselt ihn an den Leichnam seiner Frau und hängt ihn eine Elle über der Erde auf denn sein Geist ist unrein, und er ist den Göttern ein Gräuel.
Die Chronik des Stoßzahns: Gebote, Teil 7, Nr. 48
CARASKAND, VORFRÜHLING 4112
Es war, als habe ihm jemand einen Stock in die Kniekehlen geschlagen. Eleäzaras stolperte nach vorn, doch Chinjosa, der Pfalzgraf von Antanamera, brachte ihn mit seinen starken Armen wieder ins Gleichgewicht.
Nein… Nein.
»Wisst Ihr, was das bedeutet?«, keuchte Chinjosa.
Eleäzaras schob den Pfalzgrafen beiseite und trat wie benommen zwei weitere Schritte an Chepheramunnis Leichnam heran. Nur ein paar Kerzen erhellten das Halbdunkel des Krankenzimmers. Das Bett war luxuriös und stand zwischen vier Marmorsäulen, die das niedrige Deckengewölbe stützten, stank aber nach Kot, Blut und Pestilenz.
Chepheramunnis Kopf lag unterhalb der Kerzen, doch
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