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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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des Letzten Propheten befohlen, und sein vergoldeter Oberschenkelknochen, mit dem er dabei auf den Tisch gehämmert hatte, galt im Inrithismus noch immer als mächtigstes Symbol des Bösen. Ob Inri Sejenus zu seiner namenlosen Geliebten gesagt hatte, Verlust könne Ruhm sichern?
    Aber das ist doch Wahnsinn!
    »Ach so, es geht um den kürzesten Weg«, sagte sie und erschrak – zumal sie den Tränen nah war – über den verächtlichen Klang ihrer Stimme.
    Doch das blondbärtige Gesicht lächelte.
    »Ja«, sagte der Kriegerprophet. »Es geht um den Logos.«
     
     
    »Anasûrimbor Kellhus«, begann Gotian mit machtvoller Stimme, »ich stelle hiermit fest, dass Ihr ein falscher Prophet seid und Euch in hochstaplerischer Absicht als Adelskrieger ausgegeben habt. Der Rat der Hohen und Niederen Herren hat entschieden, dass Ihr ausgepeitscht werdet, wie die Heiligen Schriften es verlangen.«
    Serwë hörte ein Wehklagen durch die lautstarke Reaktion der Anwesenden dringen und merkte erst später, dass es ihr eigenes Wehklagen war. Moënghus schluchzte in ihren Armen, und sie begann unwillkürlich, ihn zu wiegen, war aber zu ängstlich, um ihn wirklich zu beruhigen. Die Hundert Säulen hatten das Schwert gezückt, gaben ihnen Flankenschutz und tauschten grimmige Blicke mit den Tempelrittern.
    »Ihr verurteilt keinen!«, schrie einer. »Nur der Kriegerprophet verkündet das Urteil der Götter! Ihr seid es, die gewogen und für zu leicht befunden wurdet! Und ihr werdet bestraft werden!«
    »Unsinn! Purer Unsinn!«
    Aus tausend ausgezehrten Gesichtern kamen tausend hungrige Schreie: Beschuldigungen, Flüche, Klagen. Hunderte hatten sich in der zerstörten Zitadelle des Hundes versammelt, um zu hören, wie der Kriegerprophet auf die Anklagen der Hohen und Niederen Herren antwortete. In der heißen Sonne ragten die ausgebrannten Ruinen über ihnen auf. Zudem hatten die Männer des Stoßzahns sich auf jedem noch so steilen Hang ringsum versammelt. Überall drängten sich Schaulustige und schwangen die Fäuste.
    Serwë drückte ihr Kind intuitiv an sich und sah sich panisch um. Esmi lag richtig – wir hätten nicht herkommen sollen! Sie schaute zu Kellhus hoch und war über die Ruhe nicht überrascht, mit der er die Menge beobachtete. Selbst hier schien er der gottgleiche Nagel zu sein, der das, was wirklich geschah, mit dem verband, was geschehen sollte.
    Er wird ihnen die Augen öffnen!
    Doch der Lärm verdoppelte sich noch und ließ Serwës Körper geradezu beben. Einige Männer hatten ihr Messer gezogen, als wäre das wütende Geschrei ein Grund, mörderischen Aufruhr anzuzetteln.
    So viel Hass!
    Selbst die Hohen Herren, die in der Mitte des Festungshofs versammelt waren, wirkten ängstlich und starrten mit leerer Miene auf die donnernde Menge, als würden sie die Anwesenden zählen. Schon waren mehrere Kämpfe ausgebrochen. Serwë sah Stahl blitzen und Männer im Gedränge aufeinander einprügeln.
    Einem ausgehungerten Fanatiker mit einem Messer gelang es, an den Hundert Säulen vorbeizukommen und den Kriegerpropheten zu attackieren…
    … der ihm das Messer wie einem Kind aus der Hand stibitzte, ihn an der Kehle packte und ihn wie einen keuchenden Hund in die Luft hob.
    Die Menge beruhigte sich langsam, weil immer mehr entsetzte Augenpaare den Kriegerpropheten und seine strampelnde Last ansahen, bis nur noch das Würgen des Möchtegern-Attentäters zu hören war. Serwë schien vor Entsetzen das Herz stillzustehen. Warum tun sie das? Warum fordern sie seinen Zorn heraus?
    Kellhus warf den Mann zu Boden, wo er reglos liegen blieb.
    »Was fürchtet ihr?«, fragte er. Seine Stimme klang bekümmert und gebieterisch zugleich, also nicht anmaßend wie die eines Königs, der um seine Machtvollkommenheit weiß, sondern herrisch wie die Stimme der Wahrheit.
    Gotian drängte sich durch die Zuschauer nach vorn. »Wir fürchten den Zorn Gottes«, rief er, »der uns dafür bestraft, ein Scheusal in unserer Mitte zu dulden!«
    »Nein.« Die blitzenden Augen des Dûnyain entdeckten Saubon, Proyas, Conphas und die anderen in der Menge. »Ihr fürchtet, dass eure Macht in dem Maße schwindet, wie meine zunimmt. Ihr handelt nicht im Namen Gottes, sondern im Namen der Habgier. Ihr würdet es nicht mal dulden, wenn Gott sich an die Spitze eures Heiligen Kriegs stellte. Und doch trägt jeder von euch eine ängstliche Frage im Herzen, die Frage nämlich: Und wenn er wirklich der Prophet ist – welches Verhängnis blüht uns dann?«
    »Ruhe!«,

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