Der Prinz von Atrithau
Verrückten oder Verrätern könnte hier Einlass begehren?«
Achamian hielt kurz inne, ehe er antwortete. Die Trostlosigkeit in der Stimme des Wächters hatte ihn erschüttert. Ihm war klar, dass die Männer des Stoßzahns jede Hoffnung verloren hatten.
»All die, die geliebten Menschen beistehen wollen«, rief er die Mauer hinauf. »Sogar bis in den Tod.«
Kurz darauf sprang das Außentor auf, und ein Trupp hohlwangiger Tydonni nahm sie fest. Zu guter Letzt hatten sie den Alptraum von Caraskand erreicht.
Esmenet hatte gehört, der Tempelbezirk von Csokis sei so alt wie der Ziggurat von Xijoser in Shigek. Er lag im Herzen des Potts, und vom kalksteingepflasterten Platz in seiner Mitte, dem Kaiaul, waren alle fünf Hügel ringsum zu sehen. Auf dem Platz stand ein alter Eukalyptusbaum, den die Leute seit je Umiaki nannten. Esmenet weinte in seinem gewaltigen Schatten und sah zu Kellhus und Serwë hoch, die an seinem untersten Ast hingen. Der Säugling Moënghus schlief selig in Esmenets Arm.
»Bitte wach auf, Kellhus… bitte!«
Vor johlenden Inrithi hatte der Hochmeister der Tempelritter Kellhus die Kleider vom Leib gerissen und ihn mit Zedernzweigen gepeitscht, bis er aus hundert Wunden blutete. Dann hatte er ihn – Fußknöchel an Fußknöchel, Handgelenke an Handgelenke, Gesicht an Gesicht – an Serwës nackten Leichnam binden und beide mit gestreckten Gliedmaßen an einen großen Bronzering ketten lassen. An diesem Ring hingen sie nun verkehrt herum vom mächtigsten Ast des Umiaki. Esmenet hatte vergebens versucht, diese Barbarei zu verhindern.
Nun kreisten die beiden langsam im Wind, wobei ihr goldenes Haar in der Brise eins wurde und ihre Arme und Beine wie zum Tanz gestreckt schienen.
Kellhus und die tote Serwë… Sein Gesicht glänzte vor Schweiß, und sein muskulöser Rücken leuchtete weiß zwischen hochroten Linien. Seine Augen waren zugeschwollen.
»Du hast doch gesagt, die Wahrheit könne nicht sterben!«, jammerte Esmenet.
Serwë war tot und Kellhus kaum mehr lebendig – und sie selbst war zu ohnmächtigem Zuschauen verdammt.
Mit Moënghus im Arm rollte Esmenet sich auf dem wächsernen Blätterteppich zusammen und hielt bei der Toten und dem Sterbenden Wache.
»Denk daran, wenn du dir das Geheimnis des Kampfs in Erinnerung rufst…«
Die Inrithi verstummten, wenn Cnaiür an ihnen vorbeikam, und sahen ihm wie einem König nach. Er wusste um seine Wirkung auf andere. Selbst unterm Sternenzelt brauchte er weder Gold noch Wappen oder Banner, um seinen Rang zu vermitteln. Er trug seinen Ruhm in Form von Narben auf den Armen. Er war Cnaiür von Skiötha, der Pferden den Willen und Menschen das Leben nahm, und schon sein Anblick lehrte seine Umgebung das Fürchten.
»Die Jagd muss noch nicht zu Ende sein… «
Halt den Mund!
Der Kaiaul, der Platz inmitten des Tempelbezirks also, wimmelte von erbärmlichen und verabscheuungswürdigen Leuten. An seinen Rändern tummelten sich die Inrithi auf den gewaltigen Stufen von Tempeln, die Cnaiür mindestens so alt vorkamen wie die, die er in Shigek und Nansur gesehen hatte. Andere drückten sich unter den säulengestützten Fassaden großer Schlafstätten und halb zerstörter Klöster herum oder saßen auf Matten und unterhielten sich murmelnd. Einige hatten sogar Feuer entzündet und verbrannten Duftharze und -hölzer, sicher als Opfergaben für ihren Kriegerpropheten. Je näher er dem großen Baum in der Mitte des Kaiaul kam, desto dichter wurde die Menge.
»… das Geheimnis des Kampfs… «
Noch mehr Lügen!
Ohne die Drohungen und Flüche zu beachten, die auf ihn einregneten, kämpfte Cnaiür sich weiter vor und blieb erst stehen, als er einen klaren Blick auf den mächtigen Baum namens Umiaki hatte. Wie ein gewaltiges, auf den Kopf gestelltes Wurzelwerk ragte er schwarz und blattlos in den Nachthimmel.
»Du hast noch immer das Vertrauen der Mächtigen… «
So sehr Cnaiür auch Ausschau hielt – er konnte den Dûnyain und Serwë nirgendwo entdecken.
»Atmet er noch?«, rief er. »Schlägt sein Herz noch?«
Die Inrithi ringsum warfen sich ängstlich erstaunte Blicke zu. Niemand antwortete.
Cnaiür drängte sich angeekelt zwischen ihnen hindurch und stieß manchen mit Wucht beiseite, um vorwärtszukommen. Schließlich erreichte er die Absperrung der Tempelritter, von denen einer ihm die Hand auf die Brust setzte, um ihn aufzuhalten. Cnaiürs Miene verfinsterte sich, bis der Mann die Hand wegzog. Dann spähte er aufs Neue ins
Weitere Kostenlose Bücher