Der Prinz von Atrithau
brüllte er und sprang auf. »Ich würde alles ertragen, um nur einen Tag König zu sein! Ich würde Euch töten, wenn mir das den Thron sicherte! Dafür würde ich sogar Gott die Augen ausreißen!«
Der letzte Satz verhallte im gewaltigen Audienzsaal und kehrte als Echo zurück: Ausreißen! Ausreißen! Ausreißen!…
Saubon fiel vor seinem Thron auf die Knie und spürte die Hitze der Königsfeuer auf der tränennassen Haut. Man hörte Rufe und das Klappern von Rüstungen und Waffen. Wächter kamen gelaufen.
Aber vom Kriegerpropheten fehlte jede Spur.
»Den gibt’s gar nicht«, raunte Saubon in den leeren Audienzsaal hinein. »Den hat’s nie gegeben!«
Kellhus saß tagelang auf der Terrasse und besuchte in Trance diverse Welten. Bei Sonnenaufgang und Sonnenuntergang brachte Esmenet ihm verabredungsgemäß eine Schale Wasser. Sie brachte ihm auch etwas zu essen, obwohl er gebeten hatte, das nicht zu tun. Dann musterte sie seinen breiten, reglosen Rücken, das im Wind wehende Haar und die sinkende Sonne auf seinem Gesicht und fühlte sich wie ein kleines Kind, das vor einem Götzen kniet und etwas Monströsem, Unersättlichem Opfer bringt: gesalzenen Fisch, getrocknete Pflaumen und Feigen, ungesäuertes Brot – genug, um in der Unterstadt einen kleinen Aufstand auszulösen.
Er rührte nichts davon an.
Dann ging sie eines Morgens zu ihm, und er war nicht da.
Nachdem sie verzweifelt durch die Säle des Palasts gerannt war, fand sie ihn in den Wohnräumen. Er sah ungepflegt und verwegen aus und scherzte mit Serwë, die gerade aufgestanden war.
»Esmi-Esmi-Esmi«, flötete das Mädchen mit verquollenen Augen, »bring mir doch bitte den kleinen Moënghus.«
Esmenet war viel zu erleichtert, um verärgert zu sein, ging in das angrenzende Zimmer und nahm den schwarzhaarigen Säugling aus der Wiege. Obwohl sein erstaunter Blick sie lächeln ließ, fand sie das Winterblau seiner Augen irritierend.
»Ich hab gerade erzählt«, sagte Kellhus, als sie Serwë das Kind übergab, »dass die Hohen Herren mich vorgeladen haben… Sie wollen verhandeln.«
Er ließ natürlich nichts darüber verlauten, was ihm in Trance widerfahren war. Das tat er nie.
Esmenet nahm seine Hand, setzte sich neben ihn aufs Bett und erfasste die Bedeutung dessen, was er gesagt hatte, noch nicht ganz.
»Verhandeln?«, rief sie plötzlich. »Kellhus, sie haben dich vorgeladen, um dich zu verurteilen!«
»Kellhus?«, fragte Serwë. »Was will sie damit sagen?«
»Dass diese Vorladung eine Falle ist«, rief Esmenet und blickte Kellhus fest an. »Und das weißt du!«
»Was soll das denn heißen?«, rief Serwë. »Alle lieben Kellhus… Alle wissen jetzt Bescheid.«
»Nein, Serwë. Viele hassen ihn, sehr viele. Und sie wollen ihn tot sehen!«
Serwë lachte so unbekümmert, wie nur sie es vermochte. »Esmenet…«, begann sie, schüttelte den Kopf wie über einen Dummkopf, den man herzlich gern hat, und stemmte den kleinen Moënghus in die Luft. »Tante Esmi hat tatsächlich vergessen«, gurrte sie dem Baby zu, »wer dein Vater ist.«
Esmenet sah sie völlig verblüfft an. Manchmal hätte sie dem Mädchen am liebsten den Hals umgedreht. Wie konnte Kellhus bloß ein so dummes und selbstgefälliges Geschöpf lieben?
»Esmi…«, sagte er abrupt, und sein warnender Unterton ließ sie frösteln. Sie drehte sich zu ihm um, und in ihren Augen stand dramatisch: Vergib mir!
Andererseits konnte sie nicht nachgeben – nicht nach dem, was sie herausgefunden hatte. »Sag es ihr, Kellhus – sag ihr, was passieren wird!«
Nicht noch mal!
»Hör mal, Esmi, es gibt keine andere Möglichkeit. Zaudunyani und Orthodoxe dürfen keinen Bürgerkrieg anzetteln.«
»Nicht mal um dich?«, rief sie. »Dieser Heilige Krieg und diese Stadt sind im Vergleich zu dir doch Bagatellen! Begreifst du das denn nicht, Kellhus?« Ihre Verzweiflung steigerte sich zu plötzlicher Qual und Hoffnungslosigkeit, und wütend wischte sie ihre Tränen ab. Das hier war zu wichtig für selbstsüchtigen Kummer. Aber ich habe schon so viele verloren!
»Ist dir dein Wert denn gar nicht klar?«, fuhr sie fort. »Denk daran, was Akka gesagt hat: Gut möglich, dass du die letzte Hoffnung bist!«
Er legte die Hand an ihre Wange und strich ihr mit dem Daumen über die Brauen.
»Manchmal, Esmi, muss man sein Leben in die Waagschale werfen, um seine Bestimmung zu erreichen.«
Sie dachte an Shikol, den verrückten König von Xerash, von dem der Traktat berichtete. Er hatte die Hinrichtung
Weitere Kostenlose Bücher