Der Prinz von Atrithau
Ring aufgehört, sich zu drehen.
»Ich sehe sie, Achamian. Sie sind unter uns, doch du kannst sie nicht entdecken…«
Die Rathgeber.
Dem Hexenmeister sträubten sich die Nackenhaare, und kalter Schweiß brach ihm aus den Poren.
»Der Nicht-Gott kehrt zurück, Akka. Ich hab ihn gesehen! Es ist der, von dem du gesprochen hast – Tsurumah oder Mog-Pharau.«
»Du lügst!«, zischte Achamian. »Du lügst, um meinem Zorn zu entgehen!«
»Meine Nascenti… Sag ihnen, sie sollen dir zeigen, was im Garten liegt.«
»Was liegt denn im Garten?«
Doch Kellhus hatte seine fiebrig leuchtenden Augen schon wieder geschlossen, und der Ring hatte sich erneut zu drehen begonnen.
Die erste Morgensonne drang durch den Bettvorhang aus Gaze. Proyas wälzte sich herum, nahm das Licht mürrisch zur Kenntnis und hielt eine Hand schützend vors Gesicht. Für kurze Zeit lag er reglos da und versuchte, den Schmerz in seiner Kehle – den letzten Rest seiner Hemoplexie – wegzuschlucken. Dann überkamen ihn von neuem die Scham und Reue des Vorabends.
Achamian und Xinemus waren zurückgekehrt. Akka und Xin – beide unwiderruflich verändert.
Und ich bin schuld daran.
Ein kalter Windstoß fuhr in den Vorhang, und Proyas kuschelte sich in seine Decken. Er versuchte, noch ein wenig zu schlafen, kämpfte stattdessen aber mit Ängsten und Sorgen. Als Kind hatte er die wohlige Faulheit solcher Morgenstunden geliebt, sich durch Legenden und Fantasien treiben lassen und von all den großen Taten geträumt, die er zu vollbringen ausersehen war. Nun dagegen besah er sich nur die Schatten, die die Morgensonne warf, und wunderte sich, wie langsam sie über die Wände krochen. An kalten Vormittagen wie diesem genoss er seine warmen Decken, wie ältere Leute ein heißes Bad genossen. Nie war ihm innerlich so kalt gewesen wie jetzt.
Nach einiger Zeit merkte Proyas, dass er beobachtet wurde.
Erst war er zu erstaunt, um sich zu regen oder nach der Wache zu rufen, und blinzelte nur. Das ganze Anwesen war im Stil der Leute aus Nilnamesh eingerichtet. Die Wände etwa waren überaus detailreich bemalt, und viele dicke, kannelierte Säulen, die sicher aus den Hafenstädten Invishi oder Sappathurai importiert waren, stützten die Decke des niedrigen Schlafgemachs. Die Gestalt, die sich gegen eine Säule neben dem Balkon lehnte, war im grellen Morgenlicht fast unsichtbar.
Proyas schnellte hoch.
»Achamian?«
Es dauerte ein wenig, bis seine Augen sich an die Helligkeit gewöhnt hatten und er den Mann erkannte.
»Was treibst du hier, Achamian? Was willst du?«
»Esmenet«, sagte der Hexenmeister. »Kellhus hat sie zur Frau genommen… Wusstet Ihr das?«
Proyas sah ihn mit offenem Mund an. Etwas in Achamians Stimme hatte ihm die Empörung geraubt: eine seltsame Trunkenheit und Rücksichtslosigkeit, die von einem Verlusterlebnis herrührten, nicht von einem Übermaß alkoholischer Getränke.
»Ja«, räumte er ein und sah Achamian von der Seite an. »Aber ich dachte…«, fuhr er fort, verstummte dann, schluckte und sagte schließlich: »Kellhus wird sehr bald tot sein.«
Sofort kam er sich wie ein Dummkopf vor, denn sein letzter Satz hatte sich angehört, als habe er Achamian den Tod des Dûnyain als Entschädigung anbieten wollen.
»Ich habe Esmenet verloren«, sagte der Hexenmeister. Seine Miene war im Gegenlicht kaum zu erkennen, doch Proyas glaubte, erschöpfte Entschlossenheit darin zu entdecken.
»Aber wie kannst du so etwas sagen? Du…«
»Wo ist Xinemus?«, unterbrach ihn der Ordensmann.
Proyas hob die Brauen und wies mit dem Kopf nach links. »Im Zimmer nebenan.«
Achamian schürzte die Lippen. »Hat er es Euch erzählt?«
»Wie er sein Augenlicht verloren hat?« Proyas studierte den Umriss seiner Füße unter der zinnoberroten Decke. »Nein. Ich hatte nicht den Mut, ihn danach zu fragen. Ich nehme an, die Scharlachspitzen haben…«
»Er hat es meinetwegen verloren, Proyas. Die Scharlachspitzen haben ihn geblendet, um Druck auf mich auszuüben.«
Achamians Botschaft war deutlich: Es ist nicht Euer Fehler gewesen, Prinz.
Proyas griff sich an die Nasenwurzel, als wollte er Schlaf aus den Augen reiben, wischte sich stattdessen aber Tränen fort.
Mensch, Akka… Ich brauche deinen Schutz nicht!
»Weil sie hinter der Gnosis her waren?«, fragte er.
Krijates Xinemus, ein Marschall von Conriya – geblendet um gotteslästerlicher Dinge willen!
»Das auch. Außerdem aber glaubten sie, ich besäße Informationen über die
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