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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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Cishaurim.«
    »Über die Cishaurim?«
    Achamian schnaubte. »Die Scharlachspitzen haben panische Angst, wusstet Ihr das? Vor all dem, was sie nicht sehen können.«
    »Dazu passt jedenfalls, dass sie sich fortwährend verstecken. Eleäzaras weigert sich noch immer, seine Ordensleute gegen die Fanim einzusetzen – und das, obwohl die Scharlachspitzen vor lauter Hunger begonnen haben sollen, ihre Bücher zu kochen.«
    »Bei dem Mist, den sie lesen, werden sie davon nur Durchfall bekommen«, meinte Achamian, und so erschöpft seine Stimme auch klang: Sein alter Schalk war unüberhörbar.
    Proyas lachte, verspürte ein fast vergessenes Behagen und begriff, dass sie früher so geredet und ihre Sorgen und Nöte dadurch nach außen gelenkt hatten, statt sich gegenseitig damit zu konfrontieren. Doch daraus konnte er keinen neuen Mut schöpfen, im Gegenteil: Seine Bestürzung nahm noch zu, denn er merkte, dass ihnen nur Angst und Erschöpfung noch geben konnten, was ihnen einst Kameradschaft und Vertrauen gewesen waren.
    Plötzlich herrschte ein unangenehmes Schweigen zwischen ihnen. Proyas musterte die Wandmalereien mit ihren üppig ausgestalteten obszönen Szenen. Mit jeder Sekunde schien die Stille lauter zu dröhnen.
    Dann sagte Achamian: »Kellhus darf nicht sterben.«
    Proyas schürzte die Lippen. »Das ist typisch«, konstatierte er ungerührt. »Kaum sage ich, dass er sterben muss, erklärst du, er müsse leben.« Er warf einen etwas nervösen Seitenblick auf seinen Schreibtisch. Das Pergament mit den leicht einwärts gerollten, in der Sonne fast durchsichtig anmutenden Ober- und Unterkanten stach geradezu ins Auge: Maithanets Brief.
    »Das hat mit Euch nichts mehr zu tun, Proyas. Das geht weit über Euch hinaus.«
    Ton und Worte des Hexenmeisters ließen den Prinzen bis ins Mark frösteln.
    »Warum bist du dann hier?«, fragte er.
    »Weil Ihr von allen Hohen Herren der Einzige seid, der verstehen kann, was ich zu sagen habe.«
    »Verstehen«, wiederholte Proyas und spürte die alte Ungeduld in seinem Herzen aufflammen. »Was verstehen? Nein, lass mich raten… Nur ich verstehe die Bedeutung des Namens Anasûrimbor. Nur ich kann die Gefahr richtig einschätzen, die…«
    »Schluss jetzt!«, rief Achamian. »Versteht Ihr nicht, dass Ihr Euch auch über mich lustig macht, wenn Ihr über diese Dinge spottet? Wann habe ich mich je abschätzig über den Stoßzahn geäußert oder den Letzten Propheten verhöhnt? Wann?«
    Proyas fand Achamians Erwiderung umso schärfer, als der Hexenmeister zweifellos Recht hatte.
    »Kellhus«, sagte er dann, »ist schon gerichtet.«
    »Seid vorsichtig, Proyas. Denkt an König Shikol.«
    Für die Inrithi war Shikol – der König von Xerash, der Inri Sejenus zum Tode verurteilt hatte – der Inbegriff von Hass und tragischer Überheblichkeit. Der Gedanke, sein Name könnte eines Tages die gleichen Assoziationen wecken, jagte Proyas einen ziemlichen Schrecken ein.
    »Shikol lag falsch… Ich dagegen liege richtig!«
    Es ging einmal mehr um die Wahrheit.
    »Fragt sich«, sagte Achamian, »wie Shikol das sehen würde…«
    »Ach?«, rief Proyas. »Glaubt unser großer Skeptiker also, dass ein neuer Prophet unter uns wandelt? Ich bitte dich, Akka… Das ist doch völlig abwegig!«
    Das klingt mir sehr nach Conphas. Noch ein unschöner Gedanke.
    Achamian hielt inne, ohne dass Proyas hätte erkennen können, ob die Vorsicht ihn zögern ließ.
    »Ich weiß nicht recht, was er ist… Ich weiß nur, dass er zu wichtig ist, um zu sterben.«
    Proyas saß kerzengerade im Bett, blinzelte angestrengt in die Sonne und gab sich alle Mühe, die Miene seines alten Lehrers auszumachen. Doch von seinem Umriss vor der blauen Säule abgesehen, konnte er eigentlich nur die fünf weißen Strähnen in seinem dunklen Bart erkennen. Proyas seufzte vernehmlich durch die Nase und betrachtete seine Daumen.
    »Vor gar nicht langer Zeit hab ich das Gleiche gedacht«, räumte er ein. »Ich fürchtete, was Conphas und die anderen sagten, könnte stimmen: dass Kellhus nämlich der Grund dafür sei, dass Gottes Zorn sich so vehement gegen uns richtete. Aber ich habe zu viele Abende mit ihm geplaudert und getrunken, als dass mir hätte entgehen können, dass er mehr ist als nur bemerkenswert… Doch dann…«
    Scheinbar aus dem Nichts schob sich eine große Wolke vor die Sonne, und im Zimmer wurde es spürbar kühler und dunkler. Erstmals konnte Proyas seinen alten Lehrer deutlich erkennen: das ausgezehrte Gesicht, den

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