Der Prinz von Atrithau
Achamian, Handbuch des Ersten Heiligen Kriegs
FESTUNG ASGILIOCH, FRÜHSOMMER 4111
Achamian und Esmenet erwachten eng umschlungen. Der Gedanke an die vergangene Nacht machte sie verlegen. Um ihre Ängste zu bezwingen, hielten sie einander fest im Arm, und als das Lager ringsum langsam zum Leben erwachte, liebten sie sich mit leiser Dringlichkeit. Danach schwieg Esmenet und sah weg, wann immer Achamian ihren Blick suchte. Zuerst war er verblüfft und verärgert über ihr plötzlich so verändertes Benehmen, doch dann begriff er, dass sie sich fürchtete. Vergangene Nacht hatte sie nur sein Zelt geteilt. Heute würde sie auch seine Freunde und seinen Tagesablauf teilen – sein Leben.
Als sie an ihrem Hasas nestelte, gelang es ihm schließlich, ihr in die Augen zu sehen. »Keine Sorge«, meinte er, »ich bin viel wählerischer, was meine Freunde anlangt.«
Zu ihrem erschrockenen Blick trat ein Stirnrunzeln. »Inwiefern wählerischer?«
Er zwinkerte ihr zu. »Wählerischer als bei meinen Frauen.«
Sie sah zu Boden, lächelte und schüttelte den Kopf. Er hörte sie leise fluchen. Als er aus dem Zelt kroch, kniff sie ihn so fest in den Hintern, dass er aufschrie.
Den Arm um ihre Taille gelegt, führte Achamian Esmenet zu Xinemus, der sich mit Dinchases unterhielt. Als er sie vorstellte, begrüßte Xinemus sie nur flüchtig, deutete auf eine dünne Rauchsäule am östlichen Horizont und erklärte, die Fanim seien ins Gebirge eingedrungen und dann ins Hochland von Inunara vorgestoßen. Offenbar war ein stattliches Dorf namens Tusam in der Nacht überraschend eingenommen und niedergebrannt worden. Proyas wollte sich selbst einen Überblick über die Verwüstung verschaffen – mit seinen höchsten Offizieren.
Der Marschall verließ sie und erteilte seinen Männern lauthals Befehle. Achamian und Esmenet zogen sich ans Feuer zurück und beobachteten schweigend die langen Reihen von Reitern aus Attrempus, die sich auf den Weg nach Tusam machten. Achamian spürte Esmenets Besorgnis, ihre Gewissheit, sie werde ihn beschämen, doch er konnte keine aufheiternden oder tröstenden Worte mehr finden, sondern nur wie sie den Reitern nachsehen und sich ausgeschlossen fühlen wie ein Sklave oder Krüppel.
Dann setzte sich Kellhus zu ihnen und blickte – wie zuvor Xinemus – zum östlichen Horizont.
»So beginnt es also«, sagte er.
»Was beginnt?«, fragte Achamian.
»Das Blutvergießen.«
Ziemlich verlegen stellte Achamian ihm Esmenet vor. Ihr kühler Ton und ihre kühle Miene ließen ihn innerlich zusammenzucken – ebenso wie der noch immer deutlich erkennbare blaue Fleck auf ihrer Wange. Kellhus aber schien all das gleichgültig zu sein. Vielleicht hatte er es auch gar nicht bemerkt.
»Ein neues Gesicht«, sagte er mit verbindlichem Lächeln. »Weder bärtig noch ausgezehrt.«
»Noch nicht…«, meinte Achamian.
»Sicher nie«, sagte Esmenet in gespieltem Protest.
Sie lachten, und Esmenets Feindseligkeit schien zu schwinden.
Serwë kam kurze Zeit später hinzu. Sie war noch immer in ihre Decke gewickelt. Vom ersten Moment an musterte sie Esmenet so verwundert wie entsetzt, und als sie sah, dass sie den Männern nicht bloß zuhörte, sondern mitredete, begann das Entsetzen zu überwiegen. Achamian fand das beunruhigend, blieb aber davon überzeugt, dass die beiden sich anfreunden würden – und sei es nur, um mitunter dem männlichen Gehabe zu entgehen, das so charakteristisch für die Abende am Feuer war.
Irgendwie bedrückte ihn das Lager, und stillzusitzen war ihm unerträglich. Also schlug er vor, einen Ausflug in die Berge zu machen. Kellhus stimmte sofort zu und sagte, er habe den Heiligen Krieg noch immer nicht von weitem in Augenschein genommen. »Man versteht nichts, wenn man es nicht von oben betrachtet hat«, meinte er. Serwë, die tagsüber so oft allein gelassen worden war, schloss sich ihnen mit fast peinlicher Begeisterung an. Esmenet schien schon glücklich darüber, nur Achamians Hand zu halten.
Die Kette der Unaras-Berge ragte drohend vor dem tiefblauen Himmel auf und zog sich wie eine lange Reihe verwitterter Backenzähne im Bogen bis zum Horizont. Sie suchten den ganzen Vormittag nach einem Aussichtspunkt, von dem sie das Heer des Heiligen Kriegs im Ganzen hätten überblicken können, doch das heillose Durcheinander der Hänge, die sich weithin im Vorfeld des Gebirges erstreckten, verwirrte sie, und je weiter sie zogen, desto klarer wurde ihnen, dass sie stets nur die
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