Der Prinz von Atrithau
an – mitfühlend, aber vorsichtig.
»Und warum hast du keinen Kontakt zu ihnen aufgenommen?«
Achamian schauderte. Er strich ihr mit zitternden Fingern durchs Haar. »Ich bin so froh, dass du da bist«, murmelte er. »Dass du in Sicherheit bist…«
»Akka, was ist los? Du machst mir Angst…«
Er schloss die Augen und atmete tief durch. »Ich hab jemanden getroffen. Jemanden, dessen Kommen vor zweitausend Jahren prophezeit wurde…« Er öffnete die Augen, und sie war noch da. »Einen Anasûrimbor.«
»Aber das bedeutet…« Esmenet runzelte die Stirn und starrte auf seinen Brustkorb. »Du hast diesen Namen mal im Schlaf geschrien und mich dadurch geweckt…« Sie musterte sein Gesicht. »Ich weiß noch, dass ich dich gefragt habe, was Anasûrimbor bedeutet, und du hast gesagt…«
»Ich kann mich nicht daran erinnern.«
»Du hast gesagt, das sei der Name der letzten Dynastie des alten Kûniüri gewesen, und…« Ihre Miene wurde vor Schreck immer starrer. »Das ist nicht witzig, Akka. Du machst mir wirklich Angst!«
Er begriff, dass sie Angst hatte, weil sie glaubte… Er schnappte nach Luft und blinzelte Tränen aus den Augen. Freudentränen.
Sie glaubt mir wirklich… Sie hat es die ganze Zeit geglaubt!
»Nein, Akka!«, rief Esmenet und warf sich an seine Brust. »Das darf nicht geschehen!«
Wie konnte das Leben so verdreht sein, dass ein Ordensmann der Mandati das Ende der Welt feierte?
Während Esmenet sich an ihn schmiegte, erklärte Achamian ihr, warum Kellhus zweifellos der Vorbote sei. Sie hörte wortlos zu und sah ihn in banger Erwartung an.
»Versteh doch«, sagte er in die Dunkelheit hinein. »Wenn ich Nautzera und die anderen informiere, dann schnappen sie ihn sich – egal, wessen Schutz er genießt.«
»Werden sie ihn töten?«
Achamian blinzelte beunruhigende Bilder vergangener Verhöre weg. »Sie werden ihn kleinkriegen, und wenn nicht ihn, so doch seine Persönlichkeit vernichten…«
»Trotzdem musst du ihn ausliefern, Akka«, sagte sie sofort und ohne Zögern. Ihre Augen waren kalt, ihr Urteil erbarmungslos. Was Gefahr und Liebe anging, duldeten Frauen offenbar keine Relativierungen.
»Aber hier geht es um ein Leben, Esmi.«
»Genau«, gab sie zurück. »Um ein Leben – welchen Unterschied macht schon das Leben eines Menschen? So viele sterben, Akka!«
Das war die harte Logik einer harten Welt.
»Aber es kommt doch darauf an, was für ein Mensch jemand ist, oder?«
Dieser Einwand ließ sie innehalten. »Vermutlich. Also – was für ein Mensch ist er? Und welcher Mensch ist es wert, die Apokalypse zu riskieren?«
Er merkte, dass sie trotz ihres Sarkasmus die Antwort fürchtete. Gewissheit verachtet Komplikationen, und sie wollte sich gewiss sein. Sie denkt, sie rettet mich, erkannte er. Mir zuliebe will sie, dass ich falschliege.
»Er ist… «, begann Achamian und schluckte. »Er ist einzigartig.«
»Inwiefern?«, fragte sie mit der Skepsis einer Hure.
»Das ist schwer zu erklären.« Er zögerte und dachte über seine Zeit mit Kellhus nach. An all seine Einsichten und an die Momente, in denen er Ehrfurcht vor ihm empfunden hatte. »Weißt du, wie man sich fühlt, wenn man auf dem Grundstück eines anderen steht – auf seinem Eigentum?«
»Ich denke schon – wie ein Eindringling oder wie ein Gast.«
»So etwa fühlt man sich mit ihm – wie ein Gast.«
Esmenet zog eine widerwillige Miene. »Was du da sagst, klingt nicht gut.«
»Dann ist es anders als es klingt.« Achamian atmete tief durch und suchte nach den richtigen Worten. »Die Gesprächsthemen der Menschen sind wie Grundstücke. Manche sind allgemein zugänglich, andere nicht. Wenn wir beide über die Rathgeber sprechen, stehst du auf meinem Grundstück, während ich auf deinem stehe, wenn du aus deinem Leben erzählst. Bei Kellhus dagegen macht es keinen Unterschied, worüber man spricht oder wo man sich befindet – irgendwie ist man stets auf seinem Grundstück. Ich bin immer bei ihm zu Gast, immer! Selbst wenn ich ihn unterrichte, Esmi!«
»Du unterrichtest ihn? Du hast ihn als Schüler angenommen?«
Achamian runzelte die Stirn. Sie hatte geklungen, als empfände sie das als Verrat.
»Ich bringe ihm nur exoterisches Wissen bei«, sagte er achselzuckend. »Alle möglichen weltlichen Dinge. Nichts Esoterisches. Er gehört nicht zu den Wenigen«, meinte er und fügte nach einer kurzen Pause hinzu: »Gott sei Dank nicht.«
»Warum sagst du das?«
»Wegen seines Intellekts, Esmi. Der ist wirklich
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