Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen
Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
Vom Netzwerk:
musste.
    Serwë ging neben ihr und blickte ab und an nervös herüber. Esmenet schwieg, obwohl ihr klar war, dass das Mädchen mit ihr reden wollte. In Anbetracht der Umstände schien sie recht harmlos. Sie war eine der wenigen Frauen, die nie entjungfert, nie beraubt werden konnten. Wäre sie eine Hurenkollegin in Sumna gewesen, hätte Esmenet sie heimlich verachtet. Sie hätte ihr die Schönheit und Jugend, das blonde Haar und die blasse Haut verübelt, doch am meisten hätte sie sich über ihre eigene, schier unendliche Verletzbarkeit geärgert.
    »Akka hat…«, platzte das Mädchen plötzlich heraus, errötete dann und sah auf ihre Füße. »Achamian hat Kellhus wundersame Dinge gelehrt – ganz wundersame Dinge!«
    Und dazu noch dieser liebenswerte Akzent…
    Mit unbestimmt nach Süden gerichtetem Blick meinte Esmenet: »Ach ja?«
    Womöglich lag das Problem darin, dass Achamian Kellhus zu unterrichten begonnen hatte, ehe er von den Hautkundschaftern der Rathgeber erfahren hatte, ehe er also sicher wusste, dass der Mann der Vorbote war – wenn er es denn war. Vielleicht war das ja das merkwürdige Prinzip, von dem Achamian gesprochen hatte und das die beiden verband: Kellhus war sein Schüler – genau wie Proyas oder Inrau seine Schüler gewesen waren.
    Bei diesem Gedanken hätte Esmenet beinahe auf den Boden gespuckt.
    Unversehens rannte Serwë voraus, sprang über kleine Hügel und durch Gestrüpp. »Die Blumen!«, rief sie. »Wie schön!«
    Esmenet ging zu Achamian und Kellhus, die Serwë beobachteten. Einige Schritte entfernt kniete das Mädchen vor einem Strauch voll ungewöhnlicher türkisfarbener Blüten.
    »Ah«, sagte Achamian und ging zu ihr, »Pemembis… Hast du die noch nie gesehen?«
    »Nein«, keuchte Serwë.
    Esmenet glaubte, Flieder zu riechen.
    »Wirklich nicht?«, fragte Achamian und pflückte eine Blüte. Dann sah er Esmenet kurz an und zwinkerte ihr zu. »Hast du also noch nie etwas von den Sagen gehört?«
    Esmenet blieb neben Kellhus stehen, während Achamian seine Geschichte zum Besten gab: etwas über eine Kaiserin und ihre blutdürstigen Liebhaber. Einige unangenehme Momente vergingen. Der Mann neben ihr war groß, selbst für einen Norsirai, und hatte die muskulösen und überlangen Proportionen, die ihre alten Freunde in Sumna nur an das Eine hätten denken lassen. Seine Augen waren hinreißend blau und so klar, dass sie an Achamians Geschichten von den alten, nordischen Königen denken musste. Und sein Auftreten war von einer Anmut, die irgendwie… nicht von dieser Welt zu sein schien.
    »Ihr habt also bei den Scylvendi gelebt?«, fragte sie schließlich.
    Kellhus betrachtete sie wie jemanden, der stört, und sah dann wieder zu Serwë und Achamian hinüber. »Eine Zeit lang, ja.«
    »Erzählt mir etwas über sie.«
    »Zum Beispiel?«
    Sie zuckte die Achseln. »Über ihre Narben vielleicht… Sind das Trophäen?«
    Kellhus lächelte und schüttelte den Kopf. »Nein.«
    »Was dann?«
    »Das ist nicht leicht zu beantworten. Die Scylvendi glauben nur an Taten, obwohl sie das nie sagen würden. Wirklich ist für sie nur, was Menschen tun. Alles andere ist Rauch. Sie nennen das Leben sogar Syurtpiütha, also ›Rauch, der sich bewegt‹. Für sie ist das Leben nichts, was man besitzen oder tauschen kann, sondern eher eine Spur von Taten. Diese Spur kann verflochten sein mit denen anderer, etwa mit denen der Angehörigen des eigenen Stamms; sie kann in einer konturlosen Masse aufgehen, wie das bei Sklaven der Fall ist; oder sie kann beendet werden, auf dem Schlachtfeld etwa oder durch Mord. Da zu töten bedeutet, alles Tun zu beenden, gilt es den Scylvendi als bedeutendste, wirklichste Tat und als Eckpfeiler der Ehre.
    Die Narben oder Swazond aber feiern nicht das Töten, wie jeder im Gebiet der Drei Meere zu vermuten scheint. Sie markieren den… den Schnittpunkt konkurrierender Handlungslinien, den Punkt, an dem ein Leben seinen Impuls auf ein anderes Leben überträgt. Dass beispielsweise Cnaiür die Narben vieler trägt, bedeutet, dass er den Impuls vieler in sich hat. Seine Swazond sind viel mehr als Trophäen: Sie sind die Vorgeschichte seiner Wirklichkeit. Mit den Augen der Scylvendi betrachtet, ist er der Felsbrocken, der zur Gerölllawine geworden ist.«
    Esmenet sah ihn staunend an. »Ich dachte, die Scylvendi sind ungehobelte Barbaren. Solche Überzeugungen sind doch viel zu scharfsinnig!«
    Kellhus lachte. »Alle Überzeugungen sind zu scharfsinnig.« Er fixierte sie mit

Weitere Kostenlose Bücher