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Der Prinz von Atrithau

Der Prinz von Atrithau

Titel: Der Prinz von Atrithau Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: R. Scott Bakker
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unglaublich! Ich bin noch nie einem so scharfsinnigen Menschen begegnet, weder im Leben noch in der Literatur… Nicht mal Ajencis kann da mithalten, Esmi – stell dir das vor! Wenn Kellhus hexen könnte, wäre er…« Achamian holte tief Luft.
    »Was wäre er dann?«
    »Ein zweiter Seswatha… Mehr als Seswatha sogar…«
    »Dann mag ich ihn noch weniger. Er klingt gefährlich, Akka. Sag Nautzera und den anderen Bescheid. Wenn sie ihn sich schnappen, lass es geschehen. Wenigstens hast du mit diesem Irrsinn dann nichts mehr zu tun!«
    Wieder schossen ihm Tränen in die Augen. »Aber…«
    »Akka – das ist wirklich nicht deine Aufgabe!«
    »Eben doch!«
    Esmenet rückte ein wenig von ihm ab, stützte sich auf den Arm und beugte sich über ihn. Das Haar fiel ihr über die linke Schulter und wirkte im Kerzenlicht undurchdringlich schwarz. Sie schien wachsam und unschlüssig.
    »Wirklich? Ich glaube, das sagst du wegen Inrau…«
    Es fröstelte ihn innerlich, als er an Inrau dachte, seinen wunderbaren Schüler, der wie ein Sohn für ihn gewesen war.
    »Warum auch nicht?«, rief er mit plötzlicher Wut. »Sie haben ihn getötet!«
    »Aber sie haben dich nach Sumna gesandt, damit du Inrau als Kundschafter gewinnst, und du hast dich darauf eingelassen, obwohl du genau wusstest, was passieren würde… Das hast du mir erzählt, ehe du noch Kontakt zu ihm aufgenommen hast!«
    »Und was soll das heißen? Dass ich Inrau getötet habe?«
    »Du jedenfalls denkst, dass du ihn getötet hast.«
    Ach Achamian, schwang dabei in ihrer Stimme mit, bitte…
    »Na und? Heißt das, ich soll ein zweites Mal nachgeben? Sollen die Narren in Atyersus erneut einen Menschen vernichten, den ich…«
    »Nein, Achamian. Es heißt vielmehr, dass du nichts von all dem tust, um diesen Anasûrimbor Kellhus zu retten, sondern allein, um dich zu bestrafen.«
    Er sah sie verdutzt an. Dachte sie das wirklich?
    »Das sagst du«, keuchte er, »weil du mich so gut kennst…« – er strich ihr mit dem Finger über die blasse Brust – »… und Kellhus so schlecht.«
    »Niemand ist so außergewöhnlich – das kannst du einer Hure wie mir ruhig glauben.«
    »Wir werden sehen«, sagte er und zog sie zu sich herunter. Sie küssten sich lang und innig.
    »Wir«, wiederholte sie lachend und wirkte so verletzt wie bestürzt. »Es heißt jetzt wirklich ›wir‹, was?«
    Mit einem schüchternen, fast ängstlichen Lächeln half sie ihm aus seinem mitgenommenen Gewand.
    »Wenn du nicht da bist«, sagte er, »oder wenn du dich abwendest, fühle ich mich so leer, als wäre mein Herz aus Rauch. Bedeutet das nicht ›wir‹?«
    Sie drückte ihn auf die Matte und setzte sich auf ihn.
    »Dieses Gefühl kenne ich«, sagte sie unter Tränen. »Dann ist es wohl wirklich so…«
    Ein Lamm für zehn Bullen, dachte Achamian. Erkennen.
    Sie begann, sich an ihm zu reiben, und zwar nicht, um sich mit hurenhafter Routine die Arbeit zu verkürzen, sondern mit dem Egoismus einer Geliebten, die Lust erfahren will – einer Geliebten oder einer Ehefrau. Heute Abend würde sie nehmen, und Achamian wusste, dass eine Hure unmöglich mehr geben konnte.
     
     
    In Hurengestalt saß das Wesen im Dunkeln, lauschte dem nur eine Armeslänge entfernten Liebesspiel und dachte an die Schwachheit des Fleisches und an all die Bedürfnisse, gegen die es selbst immun war – eine Immunität, die es mächtig und tödlich sein ließ.
    Überall stöhnten Paare, und es roch nach ungewaschenen Leibern – kein unangenehmer Geruch eigentlich. Vielleicht aber zu frei von Furcht.
    Die Geräusche und der Geruch von Tieren. Leidenden Tieren.
    Doch das Wesen wusste etwas von ihrem Schmerz. Vielleicht wusste es noch viel mehr. Wollust stiftete Orientierung, und seine Baumeister hatten ihm eine spezielle Orientierung und recht spezielle Vorlieben eingeimpft. Tja – die Baumeister waren eben nicht dumm.

4. Kapitel
     
    ASGILIOCH
     
     
     
    Keine Entscheidung ist ausgeklügelt genug, uns nicht an ihre
    Folgen zu binden.
    Und keine Folge kommt so unerwartet, als dass sie uns von
    unseren Entscheidungen freisprechen könnte.
    Nicht einmal der Tod.
     
    Xius: Die Trusischen Dramen
     
     
    Es ist seltsam, sich an die Geschehnisse zu erinnern – als würde man beim Erwachen feststellen, nur mit knapper Not einem tödlichen Sturz in der Dunkelheit entgangen zu sein. Wann immer ich zurückdenke, bin ich tief erstaunt, noch am Leben zu sein – und entsetzt, noch immer durch die Nacht zu wandern.
     
    Drusas

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