Der Prinz von Atrithau
Ruine, wo der Schutt sich im Hain verlor. Unter den Eisenbäumen war es tiefschwarz, doch ihre blühenden, sich langsam im Wind wiegenden Kronen wirkten im Mondlicht wie aus einer anderen Welt. Ihr bittersüßer Duft erinnerte ihn an die Obstgärten von Xinemus.
»Na, bläst du wieder mal Trübsal?«, hörte er Esmenet hinter sich fragen.
Er drehte sich um und sah sie im Halbdunkel stehen. Ihre blassen Farbtöne unterschieden sich nicht von denen der Ruine ringsum. Er staunte darüber, dass die Nacht Stein wie Haut und Haut wie Stein aussehen lassen konnte. Dann war sie in seinen Armen, küsste ihn und zog an seinem Leinengewand. Er drängte sie rückwärts, drückte sie an einen gesprungenen Altar und strich ihr über Schenkel und Hintern. Sie griff ihm zwischen die Beine, und schon Sekunden später drang er in sie ein. Sie liebten sich gierig und voller Hingabe.
Als sie sich hinterher den Staub von Haut und Kleidern wischten, lächelten sie sich so wissend wie schüchtern an.
»Was denkst du?«, fragte Achamian schließlich.
Esmenet machte ein halb lachendes, halb seufzendes Geräusch.
»Nichts ist so zärtlich, so lüstern oder köstlich«, meinte sie. »Nichts ist so verzaubert wie dieser Ort.«
»Ich meinte eigentlich Kellhus.«
Sie blitzte ihn zornig an. »Denkst du eigentlich an gar nichts anderes?«
Er bekam einen Kloß im Hals. »Wie könnte ich das?«
Von einer Sekunde auf die andere war sie distanziert und verschlossen. Serwës Lachen klang durch die Ruinen, und er fragte sich unwillkürlich, was Kellhus gesagt haben mochte.
»Er ist wirklich bemerkenswert«, murmelte Esmenet, weigerte sich aber, ihn dabei anzuschauen.
Was soll ich also tun?, hätte Achamian gern gerufen.
Stattdessen blieb er stumm und versuchte, das Durcheinander seiner inneren Stimmen zu ersticken.
»Wir sind doch füreinander da?«, fragte sie plötzlich. »Oder etwa nicht, Akka?«
»Natürlich sind wir das. Aber was…«
»Ist nicht alles egal, solange wir füreinander da sind?«
Dass sie einen immer unterbrechen musste…
»Gütiger Sejenus – er ist der Vorbote!«
»Wir könnten doch fliehen! Vor den Mandati und vor ihm. Wir könnten uns verstecken, nur wir zwei!«
»Aber Esmi! Die Last…«
»… ist doch nicht unsere!«, fauchte sie. »Warum sollen ausgerechnet wir darunter leiden? Lass uns fliehen! Bitte, Akka! Lass uns den ganzen Irrsinn hier vergessen!«
»Das ist doch Quatsch, Esmenet. Vor der Apokalypse kann man sich nicht verstecken! Und wenn wir es könnten, wäre ich ein Hexenmeister ohne Orden – ein Zauberer, Esmi. Dann doch besser ein Hexer sein! Sie würden mich jagen. Sie alle – nicht bloß die Mandati. Die Orden dulden keine Zauberer.«
»Aber das ist das erste Mal«, sagte sie, und ihre Stimme brach. »Das erste Mal, dass ich…«
Vielleicht waren es ihre trostlos gebeugten Schultern, vielleicht die Art, wie sie die Handgelenke zusammenpresste – etwas jedenfalls rührte Achamian so sehr, dass er sie umarmen wollte, doch ein erschrockener Ruf hielt ihn zurück. Serwë.
»Kellhus bittet Euch, schnell zu ihm zu kommen!«, rief sie aus der Dunkelheit. »In der Ferne sind Fackeln zu sehen! Reiter!«
Achamian zog ein düsteres Gesicht. »Wer ist denn so dumm, nachts in den Bergen herumzureiten?«
Esmenet antwortete nicht. Warum auch?
Sie alle dachten das Gleiche: Fanim.
Esmenet verfluchte ihren Leichtsinn, als sie einen Weg durch die Dunkelheit suchten. Kellhus hatte das Feuer ausgetreten und das Mosaik des Letzten Propheten dadurch in ein Sternbild aus verstreuten Kohlen verwandelt. Sie setzten eilig darüber hinweg und gesellten sich auf dem Gras hinter den Schutthaufen zu ihm.
»Da«, sagte der Prinz von Atrithau und deutete den Abhang hinunter.
Wenn Achamians Worte ihr den Atem verschlagen hatten, so raubte ihr, was sie nun sah, die letzte Luft. Fackelketten schlängelten sich durch die Dunkelheit und folgten den mächtigen Erdwällen, die den einzigen Zugang zum verfallenen Heiligtum bildeten. Hunderte von glitzernden Punkten. Heiden, die gekommen waren, um sie abzuschlachten oder ihnen noch Schlimmeres anzutun.
»Sie sind bald da«, sagte Kellhus.
Esmenet kämpfte plötzlich mit einem würgenden Entsetzen. Alles konnte geschehen – auch, wenn Männer wie Achamian und Kellhus zur Stelle waren! Die Welt war unendlich grausam. »Vielleicht können wir uns verstecken…«
»Sie wissen, dass wir hier sind«, murmelte Kellhus. »Unser Feuer. Es hat uns verraten.«
»Dann muss es
Weitere Kostenlose Bücher