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Der Prinzessinnenmörder

Der Prinzessinnenmörder

Titel: Der Prinzessinnenmörder Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Andreas Föhr
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welcher seither viel zum Wohlstand der Gegend beigetragen hatte.
    Nach dem Zweiten Weltkrieg wurde in einem Teil des Klosters ein Gymnasium eingerichtet. Nachdem in den siebziger Jahren der Putz von den Decken der Klassenzimmer bröselte, entschied man sich für einen Umbau, bei dem der Architekt weder an Marmor noch an Messing sparte und auch nicht an Glas. Eine komplette Innenhoffassade verschwand hinter einer Art Gewächshaus und machte den Gymnasiasten schon im Kindesalter die Schrecken des Treibhauseffekts begreiflich.
     
    Herr Bröckl, der Klassenlehrer, beschrieb Pia Eltwanger als fleißige und unauffällige Schülerin. Die habe nie gefehlt, sei in Deutsch wie auch in Mathematik gut gewesen, was nicht häufig vorkomme, und sie habe keinen Ärger gemacht, was heute noch seltener vorkomme. Um solche Schüler kümmere man sich als Lehrer naturgemäß wenig. Das sei leider so. Deswegen konnte Herr Bröckl auch nicht sagen, wie groß Pias Freundeskreis war. Bröckls Eindruck nach war der eher klein. Und er habe auch nicht mitbekommen, dass Pia einen Freund hatte. Aber das eben alles ohne Gewähr.
    Auch Pias Klassenkameraden wussten erstaunlich wenig über ihre Mitschülerin. Wallner und Mike hatten die Klasse zunächst gemeinsam befragt. Hauptsächlich darüber, wann wer Pia das letzte Mal gesehen hatte, welchen Weg sie von der Schule nach Hause nahm, ob es Faschingsfeste gegeben hatte, zu denen Pia gegangen sein könnte (was nicht der Fall war; Pia ging nicht auf Faschingsfeste). Auch andere Dinge wurden abgefragt, wie ihre Lieblingsplätze, Bekanntschaften und Ähnliches mehr. Das Ergebnis war mager. Niemand redete schlecht über das Mädchen. Aber das lag nicht so sehr daran, dass sie gerade gestorben war. Man kannte sie einfach zu wenig. Wie die Kommissare dann in Einzelgesprächen herausfanden, kursierten mehrere Gerüchte über Pia. Das eine lautete, sie sei lesbisch und habe eine Beziehung mit Conny Polcke aus der 10 b. Conny Polcke war Pias beste (und offenbar einzige) Freundin. Ein weiteres Gerücht besagte, Pia habe einen Freund. Über den Freund wiederum gab es divergierende Angaben. Die einen sagten, den habe, wenn es ihn überhaupt gebe, niemand jemals gesehen. Die anderen wussten von wieder anderen, die Pia in Begleitung eines jungen Türken oder Afrikaners gesehen hatten. Die Angaben schwankten. Einen direkten Augenzeugen gab es nicht in der Klasse.
     
    Conny Polcke war nicht mehr in der Schule. Bei der Nachricht vom Tod ihrer Freundin hatte das Mädchen einen Nervenzusammenbruch erlitten und war ins Krankenhaus geschickt worden. Das war jetzt über eine Stunde her. Wallner und Mike mussten mit Joseph Kohlweit vorliebnehmen, dem Vertrauenslehrer für Pias Jahrgangsstufe. Er empfing sie im völlig überheizten Lehrerzimmer. Offenbar hatte niemand mitbekommen, dass die Außentemperatur seit dem Morgen um zwanzig Grad gestiegen war. Wallner war es recht. Kohlweit hatte Halbglatze und Bauchansatz. Ende vierzig. Lehrer für Deutsch und Geschichte. Ein bisschen hässlich, aber von einnehmendem Wesen, wenn auch etwas selbstgefällig, wie es Wallner schien. Kohlweits Sprache war bayerisch gefärbt. Nicht jene grobe Färbung, mit der ungeschlachte Menschen ein für sie fremdes und feindliches Hochdeutsch zu bezwingen versuchen. Es war die feine Färbung des Gebildeten, der nicht mit der Hochsprache kämpft, sondern ihr mit seiner heimatlichen Aussprache Geschmeidigkeit und Charakter verleiht. Kohlweit hatte immer den Ansatz eines Lächelns im Gesicht. Doch seine Augen verrieten Wallner, dass der Lehrer schockiert war.
    »Ja, sie war zwei- oder dreimal bei mir.«
    »Was wollte sie von Ihnen?«
    »Ich denke, das unterliegt meiner Schweigepflicht.«
    »Pia kann Sie davon nicht mehr entbinden. Sie müssen selbst entscheiden, was Pia gewollt hätte. Es geht immerhin um die Ergreifung ihres Mörders.«
    Kohlweit überlegte.
    »Der Kerl wird wahrscheinlich weitermorden«, sagte Mike.
    Kohlweit nickte. Sein Atem ging schwer.
    »Pia war ein bisschen einsam. Nicht, dass man sie nicht mochte in der Klasse. Aber … sie hatte keinen Draht zu ihren Mitschülern. Was die bewegt, das hat Pia nicht interessiert. Partys, die neuesten Handys, Klingeltöne. Sie hat Tiefe gesucht, wenn Sie verstehen, was ich meine.«
    »Was haben Sie ihr geraten?
    »Ich habe ihr gesagt, sie soll ein bisschen mehr auf ihre Mitschüler zugehen.«
    »Warum kam sie damit ausgerechnet zu Ihnen?«
    »Sie hatte sonst niemanden, mit dem sie reden

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