Der Prinzessinnenmörder
näher zu tun hatte. Tennislehrer, Gärtner, Verwandte, Bekannte.«
Eltwanger nickte beflissen. »Hören Sie, Sie haben jetzt vielleicht den Eindruck, dass wir uns nicht um unser Kind gekümmert haben. Typisch reiche Leute. Teure Autos fahren und keine Zeit für die Kinder. Diese ganzen Klischees. Aber Sie sollten nicht voreilig urteilen. Es war nämlich nicht immer so. Es war nur so, dass sich Pia irgendwann, wie soll ich sagen … verschlossen hat. Sie war immer schon schwierig. Aber deswegen haben wir sie trotzdem geliebt … verstehen Sie?«
»Natürlich, Herr Eltwanger.«
Wallner kannte das Gerede. Es sprudelte meist dann aus Elternmündern, wenn ihre Kinder straffällig geworden waren. Oft konnte man auch nicht allein die Familie verantwortlich machen. Auch auf dem Land gab es Einflüsse, die Eltern kaum kontrollieren konnten. Andererseits – im Fall Eltwanger war die Sache klar. Die hatten ihre Tochter schon vor langer Zeit abgeschrieben.
»Wir würden uns jetzt gerne das Zimmer von Pia ansehen. Sie sollten da auch nichts verändern, bis die Kollegen von der Spurensicherung kommen.«
»Natürlich. Es ist im ersten Stock. Ich zeig’s Ihnen.«
Pias Zimmer war eine eigene Welt. In das übrige Haus hatte man Antiquitäten und Designerstücke in einer Weise gestellt, die kaum die Vermutung aufkommen ließ, dass hier Menschen lebten. Das Zimmer, in dem Wallner und Mike jetzt standen, war eine Märchenhöhle. Jeder Quadratzentimeter Wand war mit mystischen Bildern und Postern von Fantasy-Filmen behängt. Replikate von altägyptischen Büsten und Statuetten standen auf dem Schreibtisch und in den Regalen. Es roch nach kaltem Räucherstäbchenrauch. Wallner und Mike sahen sich behutsam um. Lutz und Tina hatten es nicht gern, wenn jemand vor ihnen einen Raum betrat, den sie noch nicht untersucht hatten. Wallner betrachtete das große Bücherregal. Pia hatte offenbar viel gelesen. Und das meiste hatte mit Mystik und Sagen und Esoterik zu tun. Darunter auffallend viele Titel über die Rosenkreuzer.
»Was ist eigentlich A.M.O.R.C.?«, meldete sich Mike. Er hatte auf dem Schreibtisch Internetausdrucke mit dieser Aufschrift gefunden. Wallner betrachtete den Schriftzug. Er wusste auch nicht, was er bedeutete, hatte aber die vage Erinnerung, ihn vor weniger als einer Minute schon einmal gesehen zu haben. Er ging zurück zum Bücherregal, nahm ein Buch über die Rosenkreuzer heraus und schlug es auf. Gleich auf der ersten Seite begegnete ihm das Kürzel wieder. Es bedeutete »Alter mystischer Orden Rosae Crucis«.
»Klingt nach Sekte.« Mike blätterte in dem Buch. »Initiation. Heilige Scheiße. Hört sich nicht gut an.«
»Ist, glaub ich, relativ harmlos. Aber wir fragen mal die Sektenexperten«, meinte Wallner. »Allerdings ist der Witz bei Sekten ja der, dass man das nicht alleine betreibt. Vielleicht kriegen wir hier einen Anhaltspunkt.«
Die Eltwangers wussten nichts über die Vorliebe ihrer Tochter für die Rosenkreuzer. Dass sie sich für Mystik interessierte, das hätten sie mitbekommen. Aber das sei ja normal für ein Mädchen in dem Alter.
Wallner und Mike wollten schon gehen, da fiel Wallner noch etwas ins Auge. Es war an sich nicht weiter von Bedeutung. Nur ein Foto, das über einem Jugendstil-Sideboard hing. Es zeigte Herrn Eltwanger in jüngeren Jahren mit Freunden im Winter vor einer schlichten Berghütte. Seine Haare waren wirr, er war ungewaschen, sonnenverbrannt, unrasiert – und die Nase war unversehrt. Wallner fiel das Bild auf, weil es so wenig in das sterile Ambiente des Hauses passte. Der Versicherungsvorstand im Designeranzug hatte vor diesem hier ein anderes Leben gelebt. Wallner betrachtete das Gesicht des jungen Eltwanger auf dem Foto. Er lächelte. Er hatte die Augen eines jungen Mannes, der das Leben vor sich hat. Wie alt mochte das Foto sein? Zwanzig Jahre? Die Augen! Welcher Unterschied zu den Augen, die Wallner vor einer halben Stunde an der Haustür angesehen hatten. Augen eines Mannes, der gerade sein Kind verloren hatte.
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7 . Kapitel
D as Gymnasium von Tegernsee war in einem ehemaligen Kloster untergebracht. Das Gebäude wurde allgemein das »Schloss« genannt, da es nach der Säkularisation im Jahre 1803 zunächst in die Hände eines Baron von Drechsel gefallen war, der es dann an König Max I. Joseph verkaufte. Der wiederum machte das geräumige Gebäude zu seiner Sommerresidenz. Dieser Akt begründete auch den Anfang des Fremdenverkehrs im Tegernseer Tal,
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