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Der Problemmann (German Edition)

Der Problemmann (German Edition)

Titel: Der Problemmann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrun Misselhorn
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immer als Abgrund des schlechten Geschmacks empfand. Als sie das Wohnzimmer betreten hatte, war sie für einen kurzen Moment froh und erleichtert, dass Michael sie nicht begleitet hatte. Ebenso freudestrahlend wie ihre Mutter, stellte ihr Vater die Platte gefüllt mit Würstchen auf den Tisch und verschwand wieder in der Küche. Ihre Mutter hatte sich bereits an den Tisch gesetzt, der nur dürftig gedeckt war. Das hätte Anna warnen sollen. In all den Jahren legte ihre Mutter sehr viel Wert auf Tischdekoration. Anna fragte sich regelmäßig wo sich Platz zum Essen finden sollte. Nun sah alles eher karg aus, geradezu lieblos. Was war hier los? Da ihr Vater eine Weile brauchte, um aus der Küche zurück an den Tisch zu kommen, hoffte Anna darauf, dass er vergessen hatte die Gans aus dem Ofen zu holen, die offensichtlich in diesem Jahr völlig geruchsneutral daher kam. Ihre Mutter grinste breit, dass Anna annahm sie hätte bereits ein Glas zu viel Eierlikör getrunken. Das alles war surreal. Jeden Moment musste Anna aus ihrem Traum erwachen und Michael neben sich liegen sehen, der sich unmittelbar an sie schmiegen würde. Ihr Vater riss sie aus ihren Gedanken.
    „Da ist er ja“, sagte er voller stolz, „der hatte sich im Kühlschrank weit hinten versteckt.“
    Hoffentlich hinter den kalten Platten voller Braten, die jeden Moment serviert werden, dachte Anna. Sie hatte wer weiß was erwartet, da ihr Vater so ein Aufhebens darum gemacht hatte. Was er auf den Tisch stellte war jedoch ein schmuckloses Glas Senf. Er hatte sich nicht einmal die Mühe gemacht es umzufüllen. Lediglich den Deckel hatte er abgenommen und einen Löffel hineingesteckt. Mit großen Augen sah Anna ihre Eltern an. Das war doch alles ein Scherz.
    „Deine Mutter hat jedes Jahr für uns gekocht und hat auch sonst das ganze Jahr so viel Arbeit mit uns. Da habe ich ihr vorgeschlagen es dieses Jahr einmal anders zu machen. Sie soll sich auch einmal verwöhnen lassen.“
    „Mit Kartoffelsalat?“
    Anna sah ihre Mutter an, die geradezu liebevoll ihren Mann anblickte.
    „Und was soll das heißen, mit uns hat sie viel Arbeit? Ich bin doch nie hier.“
    „Jetzt hör aber auf. Deine Mutter hat dich all die Jahre versorgt. Für dich gekocht, gewaschen und geputzt. Du könntest ruhig ein wenig Dankbarkeit zeigen.“
    „Wie bitte?“
    „Anna, mein Kind, lass uns nicht streiten“, versuchte ihre Mutter zu beschwichtigen.
    „Ich streite nicht, ich habe Hunger.“
    „Dann iss doch Kind, hier nimm dir etwas Kartoffelsalat.“
    Ihre Mutter reichte ihr die Schüssel herüber.
    „Wird das für uns alle reichen? Ich habe da so meine Zweifel.“
    „Also ehrlich, Anna, benimm dich. Es wird uns schon satt machen. Denk bitte auch an die Kinder in der Dritten Welt, die Hungern immer“, sagte ihr Vater.
    „Deshalb muss ich nun auch Diät machen oder wie?“
    „Du bist undankbar“, sagte ihre Mutter und nahm ihr die Schüssel wieder ab und füllte erst sich selbst und dann Anna eine kleine Portion auf den Teller.
    „Immerhin scheinen genügend Würstchen da zu sein“, sagte Anna und griff nach der Platte.
    „Aber iss bitte nicht alle auf, das soll noch für morgen ausreichen“, mahnte ihr Vater.
    Jetzt fing Anna an zu lachen. Das konnte in der Tat nur ein Scherz sein. Plötzlich kam ihr der Gedanke, dass sie ihren Eltern nicht mitgeteilt hatte, dass Michael sie nicht begleiten würde. Hatten sie etwa angenommen vier Erwachsene damit satt zu bekommen? Wie gut, dass Michael nicht anwesend war, der wäre ohne Umschweife sofort vom Tisch aufgestanden und nach Hause gefahren.
    „Kind“, sagte ihre Mutter, „du hast ein ernsthaftes Problem. Du solltest deine Einstellung nochmals überdenken. Zeig bitte ein wenig Demut. Immerhin ist heute heilig Abend.“
     
    Mit knurrenden Magen war Anna zeitig vom Tisch aufgestanden, zwischenzeitig überlegend, ob sie sich einen Apfel vom Baum nehmen sollte, und hatte sich für die Nacht verabschiedet. Es war noch nicht einmal neun am Abend und Anna saß auf dem Bett in einem Haus, das nichts mehr mit dem ihrer Kindheit gemein hatte. Gleich am nächsten Morgen würde sie wieder abfahren. In ihr eigenes Heim. Vielleicht würde dort Michael bereits auf sie warten. Mit einem riesigen Blumenbukett, um sich bei ihr zu entschuldigen. Auf Knien flehend sah sie ihn vor sich, mit Tränen der Reue in seinen Augen. Erneut versuchte sie ihn zu erreichen. Sie musste Gewissheit haben, dass er gesund war und nicht Weihnachten im Krankenhaus

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