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Der Problemmann (German Edition)

Der Problemmann (German Edition)

Titel: Der Problemmann (German Edition) Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Sigrun Misselhorn
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Gesicht zu wischen. Anna löste sich von ihrer Mutter und wäre am liebsten sofort wieder ins Auto gestiegen, um möglichst schnell das Weite zu suchen. Das war der Grund, weshalb sie Weihnachten hasste und nur unter größten Widerwillen zu ihren Eltern fuhr. Aber was hätte sie sonst tun sollen? Allein zu Hause bleiben? Jeder fuhr über die Feiertage zu der Familie. Melanie war schon seit einigen Tagen verschwunden. Ihre Eltern lebten quasi am anderen Ende der Republik. Melanie sah ihre Familie lediglich einmal im Jahr und freute sich wie ein kleines Kind auf das Wiedersehen, was Anna kaum nachvollziehen konnte. Anna hatte keine Geschwister und konnte daher die Last, sich um die Eltern kümmern zu müssen, nicht verteilen. Melanie hatte drei Brüder. Sie war das Nesthäkchen. Wenn sie nach Hause kam wurde Melanie von allen Seiten und von vorn bis hinten bedient und verwöhnt. Ihre Brüder waren alle bereits verheiratet und hatten Kinder. Das Fest wurde im Kreise der gesamten Familie abgehalten. Wenn Melanie davon erzählte leuchteten ihre Augen. Gern hätte Anna sie verstanden. Für Anna war das heimkehren alles andere als schön. Jedes Zusammentreffen mit ihren Eltern endete damit, dass ihre Mutter ihr Vorhaltungen machte, wieso sie noch immer nicht verheiratet war, wie alle anderen ehrbaren Leute in der Nachbarschaft. Ob Anna auch einmal an sie denken würde? Wie würde ihre Mutter dastehen, wenn sie sich mit ihren Freundinnen traf und schon wieder erklären musste, dass Anna keinen Mann hatte. Zudem hatte sich Anna einen Beruf gewählt, den ihre Mutter nicht verstand. Hätte sie nicht etwas Anständiges lernen können? Etwas womit man Geld verdiente? Wenn ihre Mutter ein Buch von Anna in den Händen hielt, war sie zwar für einen kurzen Moment stolz auf sie, aber für Annas Mutter war das vielmehr ein Hobby. Das war kein Beruf. Immerhin arbeitete Anna in einer Versicherung, wenn auch nur als kleine Angestellte ohne festen Arbeitsvertrag. Daher hoffte ihre Mutter, dass Anna endlich den richtigen Mann finden und ihr die ersehnten Enkel schenken würde, damit sie erhoben Hauptes durch die Straßen des Ortes gehen könnte, ohne Angst davor haben zu müssen jemanden zu begegnen, der sie nach ihrer Tochter fragen würde.
    „Schon gut Mutter.“
    Anna nahm ihrem Vater die Tasche ab und verschwand in ihrem alten Kinderzimmer, was ihre Eltern zu einem Gästezimmer umgebaut hatten, indem ihre Mutter die meiste Zeit damit verbrachte irgendetwas zu nähen, was sie hinterher niemals tragen würde. Die Nähmaschine stand offen auf dem Tisch. Es sah so aus, als hätte ihre Mutter das Zimmer gerade verlassen. Rechnete sie nicht damit, dass Anna mit Begleitung kommen würde? Niedergeschlagen setzte sich Anna auf das unbezogene Bett. Die Bettwäsche lag immerhin schon darauf. Ihre Mutter erwartete, dass Anna sich selbst das Bett bezog, sie war schließlich nicht ihr Dienstmädchen. Anna sah sich um. Das war nicht mehr ihr zu Hause. War es das je gewesen? Alles wäre besser, als hier bei ihren Eltern zu sein. Dabei hätte alles so schön sein können. Das hätte der Anfang einer wundervollen Zukunft sein sollen.
    Während Anna sich endlich daran machte und das Bett bezog, dabei überlegend, ob es sich überhaupt lohnen würde und es nicht besser sei sofort wieder nach Hause zu fahren, lief ihr eine erste Träne die Wange hinunter. So schnell wie sie gekommen war, wischte Anna sie mit dem Handrücken fort. Sie gestattet sich keine Emotionen im Hause ihrer Eltern. Die würden das missverstehen. Noch glaubten sie ihre Lüge und dabei sollte es auch bleiben.
     
    Das einzige worauf sich Anna tatsächlich freute, war ein opulentes Mahl ihrer Mutter. Die konnte nicht besonders gut kochen, aber dennoch besser als Anna. Die beschränkten kulinarischen Talente ihrer Mutter schienen nicht auf Anna übertragbar gewesen zu sein. Die vorher abgehaltene Bescherung war ebenso trostlos verlaufen wie der Tannenbaum gewachsen war. In diesem Jahr wurde er nicht einmal festlich geschmückt. Es hingen lediglich weiße Schleifen darin und hier und da ein kleiner roter Apfel. Ihre Mutter bestand auf echte Kerzen, die jedoch nur spärlich im Baum verteilt wurden, da eine Brandgefahr zu groß erschien. Als Anna das Wohnzimmer betreten hatte, glaubte sie sich im falschen Haus wieder zu finden, so mager war der Baum bisher noch nie ausgefallen. Ihre Eltern sangen ein Weihnachtslied, dass der altmodische Plattenspieler versuchte unter Krächzen und Kratzen

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