Der Professor - Wie ich Schwedens erfolgreichster Profiler wurde
Bedingungen. Aber was wirklich zählt, ist gleich geblieben.
Jetzt sitzen wir zwar im Freien, aber im Übrigen sind Ähnlichkeiten, beispielsweise mit der Terrasse des Ritz in Paris, nicht unbedingt gegeben. Es geht darum, an den Wurzeln festzuhalten. Das wissen Kim und ich aus persönlicher Erfahrung. Und deswegen haben wir auch ein Etablissement gewählt, das nur zehn Meter von der Autobahn nach Montauk entfernt ist (zwischen dem Strand und dem Strandwald in unserem Rücken, falls jemand das wissen will). Kein schlechtes Lokal, einen guten und eindeutigen Namen hat es auch, BEACH BAR laut dem handgemalten Schild, das der Inhaber an der Schmalseite des Bauwagens festgenagelt hat.
Diese Örtlichkeiten gestatten natürlich keine Extravaganzen. Teller, Gläser und Besteck sind aus Plastik. Das Eis kommt aus einem normalen Eimer, und die Speise- und Getränkekarte beschränkt sich auf das absolut Notwendige: Gin, Wodka, Whisky, Bier und Soft Drinks sowie eine kleine Auswahl an Sea Food.
Dort sitzen wir Tag um Tag, sobald es zwölf geschlagen hat. Hinter unserem Rücken dröhnt ein nie versiegender Strom von Autoblech vorbei, und da nicht das Essen die Wahl unseres Lokals bestimmt, sehen wir auch von den Gerüchen aus der Küche ab, die uns von vorn angreifen.
Kurz gesagt eine nette kleine Kaschemme. Ein Perle, wie man sie nicht in Fremdenführern findet. Der Besitzer heißt Ross und sieht aus, als hätte er in einer Marinade gelegen, bevor er in der Sonne eingeschlafen ist. Er erinnert in der Tat stark an seine Gäste. Im hinteren Teil des Bauwagens befindet sich eine Angestellte, die nur laut brüllend angesprochen wird und »Cook« heißt. Ab und zu sehen wir ein verschrecktes Frauenzimmer hinter den qualmenden Pfannen. Ross erzählt uns im Vertrauen, das sei seine Verlobte Janice.
Wir fangen langsam mit ein paar Gin Tonic an, und wenn wir das Gefühl haben, eine gute Grundlage geschaffen zu haben, machen wir mit Wodka Lime weiter. An manchen Tagen stoßen ein paar lokale Größen zu uns und der eine oder andere normale Tourist. Dann gerät alles ziemlich durcheinander, weil wir abwechselnd die Runden zahlen, auch für Ross, der außerdem ziemlich aus dem Häuschen gerät, wenn er mehr als zwei Gäste gleichzeitig hat.
Gegen Ende der vierten Woche habe ich das unbehagliche Gefühl, dass der Blechstrom hinter unserem Rücken immer dichter wird, und der Gestank aus der Küche wird richtig unangenehm. Die warme Hand der Sentimentalität greift mir ans Herz. Ich erinnere mich an meine Jugend, die Zeit, ehe ich meine lange Reise antrat, plötzlich sehne ich mich nach der dunklen Baubude, in der ich in meiner Jugend gesessen habe.
»Du, Kim«, sage ich. »Warum sitzen wir eigentlich hier? In Montokken gibt es ganz normale Lokale. Mit fünf Sternen und Air Conditioning und Barkeepern, die sich nicht in der Nase bohren, ihre Frauen anschreien oder die Reste ihrer Gäste auftrinken.«
»Hast du das nicht begriffen?« Kim wirft mir einen müden Blick zu, und da es niemanden auf dieser Erde gibt, der so müde aussehen kann wie er, klingen seine Worte sehr gewichtig.
»Nein«, erwidere ich. »Ich begreife rein gar nichts. Erzähl.«
»Wir sitzen hier, weil es tiefer nicht geht. Feierlich ausgedrückt könnte man sagen, dass wir hier aus sozialpädagogischen Gründen sitzen. Tiefer als so kann man hoffentlich nicht sinken.«
Ich verdaue das schweigend. So muss es sein, denke ich. Tiefer kann keiner von uns sinken. Und in diesem Punkt werden wir beide so unrecht haben, wie man nur unrecht haben kann. Ich kann die Skizze beiseitelegen. Sie erklärt jedenfalls zum Teil das, was dann passiert.
Es verstreichen noch einige weitere Jahre, bis uns das Leben lehrt, wie unrecht wir hatten. Da holt uns die Wirklichkeit, in der wir leben, schließlich ein. Anfang 1998 muss sich Kim einer Herzoperation unterziehen, Tabak und Alkohol haben gemeinsam sein Herz zerstört. Die Kranzgefäße müssen ersetzt und einiges andere muss ergänzt werden. Während der Operation erleidet er einen Schlaganfall, und als er erwacht, ist er ein anderer Mensch.
Es ist eine schwere Zeit, und dass es auch mich hinhaut, verbessert die Dinge nicht gerade. Krankheiten, Unglücksfälle, ein Leben, das plötzlich von einem Tag zum nächsten gelebt werden muss. Aber unsere Energie verwenden wir darauf zu überleben.
An meinem sechzigsten Geburtstag sprechen wir zum letzten Mal miteinander. Ich habe mir gestattet, von der mir auferlegten Abstinenz
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