Der Professor - Wie ich Schwedens erfolgreichster Profiler wurde
mit dem Schlüssel, den ich an einer Schnur um den Hals trage, abgeschlossen, als ich von oben rasche Schritte auf der Treppe höre. Ein Mann eilt an mir vorbei, ein erwachsener Mann mit Hut und einem dunklen flatternden Mantel rennt, so schnell er kann, die Treppe hinunter, obwohl er sicher zehn Jahre älter als mein Papa Gustav ist und obwohl ich noch nie einen erwachsenen Mann auf diese Art habe rennen sehen. Nicht in Sonntagskleidern und noch viel weniger auf der Treppe meines Hauses. Ich bin schließlich ein Meisterdetektiv, also folge ich ihm. Ohne eine Sekunde zu zögern und so rasch, wie ich mich nur traue. Mit vorsichtigen, leisen Schritten, wie man es von einem richtigen Meisterdetektiv zu Recht verlangen kann.
Als ich auf die Straße komme, springt der Mann gerade in das Auto, das er in zehn Metern Entfernung um die Ecke geparkt hat. Er lässt den Motor an und fährt in halsbrecherischem Tempo davon. Dann biegt er links ab und verschwindet den Värtavägen hinauf. Ich ziehe mein schwarzes Notizbuch hervor und notiere mit klopfendem Herzen, was ich gesehen habe.
Ein schwarzer Citroën neueren Modells mit dem Kennzeichen A 4210. Der Mann, der ins Auto springt, scheint allein zu sein. Er trägt einen schwarzen Hut, einen dunkelgrauen Mantel, der bis an die Waden reicht, und schwarze Schuhe. Ich konnte jedoch nicht erkennen, ob es sich um Mückenjäger handelt. Er ist kleiner als Papa, sicher zehn Jahre älter und bedeutend schmaler. Außerdem ist er ein ganz anderer Typ als mein Papa. Er sieht ungefähr aus wie der Ingenieur. Aber er ist es nicht, denn den Ingenieur hätte ich erkannt, und überdies fährt dieser einen dunkelblauen Ford Taunus mit einem ganz anderen Kennzeichen und nicht einen schwarzen Citroën mit der Nummer A 4210.
An all das erinnere ich mich bis ins kleinste Detail. Der Mann, der rennt. Das Auto, in dem er davonbraust. Es ist, als hätten meine Augen einen Film aufgenommen, den ich dann Bild für Bild entwickelt und in meinem Kopf gelagert habe. Zum letzten Mal spiele ich ihn fast sechzig Jahre später ab, als ich diesen Text schreibe.
Eine halbe Stunde später bricht im Viertel Näw Jorkk ein regelrechter Tumult aus. Der Mann in dem schwarzen Mantel hat offenbar ein kleines Mädchen auf den Speicher des Hauses, in dem ich wohne, gelockt. Sie ist zwei Jahre jünger als ich, wohnt ein Stockwerk über mir und meinen Eltern, und wie sie heißt, spielt keine Rolle, obwohl ich mich auch daran erinnere.
Auf dem Speicher angekommen, hat der Mann in dem schwarzen Mantel seinen Pimmel rausgezogen und sie gebeten, ihn anzufassen. Sie beginnt jedoch so laut wie nur möglich zu schreien. Der Mann rennt weg, und als er an mir vorbeirennt, sehe ich jedenfalls keinen Pimmel, der aus seinem schwarzen Mantel heraushängt. Das wäre mir sicher aufgefallen.
Eine weitere halbe Stunde später, nachdem ich Uffe und seiner Mama Valborg erzählt habe, was ich gesehen habe, darf ich zum ersten Mal in meinem siebenjährigen Leben eine Polizeiwache besuchen. Diese liegt im selben Haus wie das Postamt unten am Frihamnen und nur hundert Meter von dem Haus, in dem ich wohne, entfernt. Ich darf meine Geschichte einem richtigen Oberwachtmeister erzählen, der das, was ich sage, aufschreibt. Jedes Wort, das ich sage, und bevor wir uns trennen, gibt er mir noch ein paar Worte mit auf den Weg.
»Bei dir scheint Ordnung zu herrschen, mein Junge«, sagt der Oberwachtmeister und klopft mir freundlich auf die Schulter.
Er ist groß und barsch, scheint aber ein gutes Herz zu haben. Ungefähr wie Sigge Fürst, der in Meisterdetektiv Blomkvist im Kino den Polizisten gespielt hat und der das auch in Wirklichkeit sein soll, wenn man jetzt Mama Margit glauben will. Oder wie alle diese Detektive im Fernsehen, mit denen man uns heutzutage füttert, in denen der immer widerborstige Chef zwar »grumpy« ist, aber gleichzeitig »good at heart«.
Als Papa nach Hause kommt, erzählt ihm Mama, dass ein böser Onkel das kleine Nachbarmädchen auf den Speicher gelockt hat. Dass sein eigener Sohn den bösen Onkel vom Ort des Verbrechens hat flüchten sehen und inzwischen der beste Zeuge der Polizei ist. Was der böse Onkel auf dem Speicher eigentlich getan hat, darauf geht sie jedoch nicht ein, und zwar mit Rücksicht auf den siebenjährigen Zeugen, der mit am selben Esstisch sitzt.
»Das ist ganz schrecklich«, sagt Mama und schüttelt den Kopf.
»Wie geht es ihr?«, fragt Papa.
»Es war offenbar nicht so schlimm«, sagt Mama und
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