Der Professor - Wie ich Schwedens erfolgreichster Profiler wurde
werden, das heißt in der Schule und mit Hilfe einer Lehrerin.
Ein Professor sei hingegen etwas ganz anderes. Richtige Professoren seien merkwürdige Männer, die schrieben und Bücher läsen, die so schwer seien, dass nur andere richtige Professoren etwas damit anfangen könnten, und keiner von diesen habe, von dem Altersunterschied einmal ganz abgesehen, irgendeine Gemeinsamkeit mit Professor Wille Flügelmutter.
Dass meine Lehrerin mich nicht mag, begreife ich bereits in der ersten Woche. Hingegen dauert es eine ganze Weile, bis ich begreife, warum. Ich zettele keinen Streit an, bin nicht aufsässig oder anstrengend. Ganz im Gegenteil, ich bin ordentlich, nett und still, und ich mache mich wirklich nicht wichtig. Es ist der Geruch von Arbeiterkind, mit dem sie sich nicht aussöhnen kann. Alle meine Klassenkameraden entstammen der Mittelklasse, selbst mein bester Freund Uffe, dessen Papa Verkaufsleiter einer Installationsfirma ist. Ich passe nicht in dieses Bild. Es ist sehr einfach, aber da mir so etwas zum ersten Mal widerfährt, dauert es eine Weile, bis ich es verstehe.
Kleine Kinder können nicht hassen. Das ist etwas, was sie lernen müssen, und sie lernen es meist von den Erwachsenen, die sie eigentlich behüten müssten. Meine Grundschullehrerin stutzt mich zurecht, und sehr bald hasse ich sie innerlich und aus tiefster Seele.
Meine Mama hingegen sorgt sich um anderes. Lesen und schreiben kann ich bereits, und wenn man jetzt schon Geld für meine Ausbildung ausgeben muss, lässt sich ja vielleicht das eine oder andere auf dem Weg sparen. Statt dass ich einfach in der Schule herumsitze und eine Menge Bücher lese, die ich in der Schulbücherei ausgeliehen habe, während meine Mitschüler Lesen, Schreiben und Rechnen lernen, könnte ich ja vielleicht direkt in der zweiten Klasse weitermachen.
Mama redet mit dem Oberlehrer, der findet, dass meine Fähigkeiten geprüft werden sollen. Meine Lehrerin soll dafür sorgen. An einem Nachmittag, als die anderen Kinder bereits nach Hause gegangen sind, ist es so weit. Meine Lehrerin erscheint mit einer anderen Lehrerin, die an derselben Schule arbeitet. Sie gibt mir ein Buch, bittet mich, eine bestimmte Seite aufzuschlagen, und sagt: »Bitte schön, lies vor.«
Das Buch, das sie mir gegeben hat, ist vollkommen unbegreiflich. Worte, die ich nicht verstehe und durch die ich mich kaum hindurchbuchstabieren kann. Noch viel weniger kann ich mir einen Reim auf die Personen machen, von denen das Buch handelt, worin auch immer die Handlung bestehen könnte.
»Danke, das reicht«, unterbricht meine Lehrerin, nachdem ich mich durch knapp eine halbe Seite gekämpft habe. Dann muss ich auf den Korridor gehen, während sie und ihre Kollegin sich beraten. Sie sprechen recht laut, und obwohl ich auf dem Korridor stehe, ist es kein Problem für mich zu hören, was sie sagt.
»Du hörst ja selbst, wie das klingt«, sagt meine Lehrerin. »Dass er eine Klasse aufrücken soll, ist etwas, was seine Eltern ihm eingeredet haben. Sein Vater ist schließlich ein ganz gewöhnlicher Arbeiter. Seine Mutter ist offenbar Putzfrau. Das hält sie aber nicht davon ab, hier anzurufen und unverschämt zu sein.«
Dann darf ich wieder hereinkommen, und der Bescheid, den sie mir gibt, ist überaus deutlich. Es ist das Beste, wenn ich in der ersten Klasse weitermache. Das geschieht dann auch. Trotz seines Spitznamens muss Professor Wille Flügelmutter in der ersten Klasse bleiben.
Was ich damals vor sechzig Jahren vorlesen musste, weiß ich immer noch nicht. Vielleicht war das ja mein erster Kontakt mit Ovids »Metamorphosen«? Dürfte ich es mir aussuchen, dann hoffentlich das für ein Arbeiterkind sittlich erbauliche Kapitel über Dädalus’ und Ikarus’ Flucht aus dem Labyrinth auf Kreta, in dem sie der grausame König Minos gefangen gehalten hat.
Wie Dädalus Vogelflügel herstellt und sie diese mit Hilfe von Bienenwachs an den Armen befestigen, wie sie sich in die Luft schwingen und davonfliegen, fort aus der Gefangenschaft. Wie Ikarus in einer Anwandlung jugendlichen Übermuts zu nahe an die Sonne heranfliegt, wie das Bienenwachs von den Strahlen der Sonne geschmolzen wird, er seine Flügel verliert und ins Meer stürzt.
Als es geschah, machte es mir nicht sonderlich viel aus. Schließlich versuchte die Alte mich nicht zu ertränken, und in der Schulbücherei gab es eine Unmenge guter Bücher, die nur auf den richtigen Leser warteten. »Da sei weiter nichts dabei«, »manchmal müsse man
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