Der Professor - Wie ich Schwedens erfolgreichster Profiler wurde
schneidet er einen halben Zentimeter Käse ab und legt ihn auf seine Brotscheibe. Mama und ich atmen auf. Nichts darf verkommen.
Viel später im Leben habe ich oft an den Raketost meiner Kindheit gedacht. Als ein frühes Symbol ist er zutiefst unheilverkündend, aber als Vorhersage meiner Zukunft zugleich auch irreführend. Trotzdem geht mir dieser verdammte Raketost nicht aus dem Kopf, obwohl ich immer laut fluche, wenn ich nach ihm greife.
Ich will versuchen zu erklären, was ich meine, da das im Hinblick auf vieles, was mir widerfährt, wichtig ist. Es geht also nicht um den eigentlichen Käse, sondern eher um die Umstände, die dazu führen, dass er auf dem Abendessentisch der Familie landet.
Der Raketost ist somit ein frühes Dokument des Anpassungsvermögens an die Forderungen, die Erwachsene an Kinder stellen. Es ist sehr ungewöhnlich, dass diese schon von so kleinen Kindern, wie ich eines war, erfüllt werden. Der Wille, es allen recht zu machen, gepaart mit dem Wissen um das, was die Erwachsenen von einem wie mir erwarten. Einem kleinen Jungen, das Haar mit Wasser gekämmt, der beim Grüßen einen Diener macht und die Hand gibt, den Mund hält, wenn die Erwachsenen reden, und im Übrigen ein lebendiger Beweis für das ist, was man zu dieser Zeit »gute Erziehung« nennt.
Die Werte und die Umstände haben sich über die Jahre gewiss verändert. Hätte der Wettbewerb zwanzig Jahre später stattgefunden – meine Überlegung ist rein akademisch, da dieser Gedanke abwegig ist –, dann hätte zweifelsfrei meine Banknachbarin gewonnen, während man mich wahrscheinlich zum Schulpsychologen geschickt hätte. Mit ihm hätte ich darüber sprechen müssen, wie wichtig es ist, seinen innersten Gedanken und Gefühlen freien Lauf zu lassen, statt einfach nur zu versuchen, eine Kuh so nachzubilden, wie sie in der Tat aussieht.
Einen Raketost hätte meine Mitschülerin allerdings nicht gewinnen können. Der verschwand schon viel früher aus dem Sortiment, da die Verpackung für rundweg gesundheitsschädlich erklärt wurde. Dass man während der radikalen siebziger Jahre einen solchen Wettbewerb unter kleineren Schulkindern veranstaltet hätte, ist natürlich ebenfalls ausgeschlossen. Wettbewerbe waren den »Faschisten in den Sportvereinen« vorbehalten, mit denen sich das pädagogische Establishment nie richtig befassen wollte. Kein Käse, kein Wettbewerb, aber höchste Zeit, zur eigentlichen Pointe zu kommen.
Wie ich bereits angedeutet habe, hat das Leben, das ich als Erwachsener gelebt habe, nicht sehr viel mit dem des kleinen Jungen gemein, der bereits in der ersten Klasse – gemessen an den Maßstäben der Erwachsenen – besser als jeder Altersgenosse eine Kuh ausmalen kann.
16.
Professor Wille Flügelmutter bestickt ein Kissen, malt ein Segelboot auf seine Schulbank und bekommt eine schlechte Note in Betragen
Bereits in der ersten Klasse der Volksschule bekomme ich den Spitznamen, der mir die vier Jahre, die ich diese Schule besuche, anhaften wird. Meine Schulkameraden taufen mich Wille Flügelmutter, »Professor Wille Flügelmutter«. Diesen Titel erhalte ich, weil ich der Einzige in der Klasse bin, der bereits lesen kann. »Wille«, weil mein zweiter Name Willy lautet, und »Flügelmutter«, weil meine Ohren abstehen und so aussehen wie diese Muttern, mit denen Papa die Heizkörper in der Wohnung, in der wir wohnen, lüftet. Ich kann lesen, ich bin auf den Namen Willy getauft, und ich habe abstehende Ohren. Mein Name steht daher fest. Professor Wille Flügelmutter.
Um die Ohren kümmert sich Mama bereits seit ein paar Jahren. Jeden Abend, wenn ich zu Bett gehe, feuchtet sie eine Leinenserviette an. Sie faltet sie zusammen und bindet sie mir um den Kopf. Dann sehe ich zwar aus wie ein Kaninchen, wenn ich einschlafe, aber es hilft, und bereits als ich auf dem Gymnasium anfange, sehe ich vollkommen normal aus, zumindest was die Ohren betrifft.
Die Sache mit dem »Professor« ist komplizierter. Nicht weil es mir etwas ausgemacht hätte, sondern weil es meine Lehrerin offenbar irritiert. Diese verwendet eine ganze Unterrichtsstunde darauf, meinen Klassenkameraden und mir zu erklären, dass ich wirklich kein Professor bin, obwohl ich bereits lesen kann. Ein Vorsprung, der sich laut meiner Lehrerin außerdem bald erledigt haben wird, da alle anderen in der Klasse bald auch vollkommen flüssig werden lesen können. Sie werden sogar besser lesen können als ich, weil sie es auf die einzig richtige Weise lernen
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