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Der Professor

Titel: Der Professor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Literatur zu diesem Thema. Doch wenn er jetzt seine Frau so jung, so schön vor sich sah, verkörperte sie all die Möglichkeiten ihres gemeinsamen Lebens, und sämtliche klinischen Studien der Welt konnten ihm letztlich nicht dabei helfen zu verstehen, weshalb sie es getan hatte, so wie ihm all sein Wissen über die Spätfolgen der posttraumatischen Belastungsstörung auch nicht dabei helfen konnte, über den Tod seines Bruders etwas anderes als Verlust und Schuld zu empfinden.
    Adrian kniff die Augen zusammen, um sich Momente in ihrem Zusammenleben in Erinnerung zu rufen. Er wollte sie fragen, warum sie ihn allein gelassen hatte. Er musste die Worte wohl, ohne es zu merken, ausgesprochen haben, denn in seinen Tagträumen erhob sie plötzlich ihre Stimme. »Nach Tommys Tod war ich nur noch ein Schatten meiner selbst«, sagte sie. »Ich wusste, dass du stark genug warst, noch etwas zu finden, für das es sich zu leben lohnte. Aber ich war schwach. Und ich dachte, wenn ich weiterlebe, bringt es dich um. Ich konnte es nicht ertragen, in einem Haus mit so vielen Erinnerungen und so viel Qual zu leben.
Alles
erinnerte mich an ihn. Sogar du, Audie. Besonders du. Wenn ich dich ansah, hatte ich ihn vor Augen, und es hat mich innerlich fast zerrissen. Also bin ich an dem Abend mit überhöhter Geschwindigkeit gefahren. Es schien das Richtige zu sein.«
    »Es war aber nicht richtig«, sagte Adrian. Er öffnete langsam die Augen und sog die Erscheinung seiner jungen Frau in sich auf. »Es konnte niemals richtig sein. Ich hätte dir geholfen. Wir hätten zusammen einen Weg gefunden.«
    Cassie berührte ihren Bauch. Sie lächelte. »Das sehe ich jetzt auch.«
    »Du hast dich geirrt«, sagte Adrian. »Wenn ich dir stark
vorkam,
dann nur, weil du bei mir warst. Du hättest mich nicht verlassen dürfen.«
    Sie nickte und lächelte immer noch. »In der Hinsicht, ja, da lag ich falsch.«
    »Ich verzeih dir«, platzte Adrian heraus. Ihm war zum Weinen. »Ach, Possum, ich verzeih dir.«
    »Selbstverständlich«, erwiderte Cassie in sachlichem Ton. »Aber du kannst es dir nicht leisten, diese kostbaren Minuten mit mir zu verschwenden. Du hast Wichtigeres zu tun. Meinst du nicht, da gibt es eine andere Mutter, Jennifers Mutter, die sich jetzt so fühlt wie ich damals?«
    »Aber …«, fing er an, sprach aber nicht zu Ende.
    »Du musst dich waschen. So wie du aussiehst, kannst du nicht vor die Haustür«, sagte Cassie.
    Adrian zuckte die Achseln und ging ins Bad, seifte sich das Gesicht ein und griff nach dem Rasiermesser. Er putzte sich die Zähne und wusch sich das Gesicht. Dann eilte er ins Schlafzimmer. Er wühlte die Schubladen durch, bis er eine saubere Cordhose, frische Unterwäsche und einen Pullover fand, der eine kurze Riechprobe bestand. Unter Cassies strengem Blick zog er sich hastig an. »Ich beeil mich«, sagte er.
    Er spürte, wie sie lachte. »Adrian, beeilen war noch nie deine Stärke«, sagte sie. »Aber du musst dein Tempo beschleunigen.«
    »Schon gut, schon gut«, antwortete er ein wenig gereizt. »Wenn ich bei diesem Mann bin, fühle ich mich irgendwie
schmutzig,
Cassie. Es ist nicht leicht, mich zu beeilen, um ihn zu sehen.«
    »Sicher, aber er ist so ziemlich die einzige Hoffnung auf eine Antwort. Wer weiß besser, wie man einen Brand legt, Audie, der Feuerwehrmann oder der Brandstifter? Wer ist der bessere Mörder, der Detective oder der Auftragskiller?«
    »Schon gut«, räumte Adrian ein, während er sich ächzend die Schnürsenkel zuband. »Ich hab verstanden.«
    »Puzzles. Labyrinthe. Ratespiele. Denksportaufgaben. Knobeleien. Adrian, nutz deine alten Fähigkeiten. Teile, die dir zusammengenommen etwas sagen. Streng dich an, Audie. Nutz deine Vorstellungskraft.«
    Adrian wusste, dass seine Frau recht hatte. Er seufzte und wäre gerne länger geblieben, um all die Antworten von ihr zu hören, die er bereits wusste, statt sich in die Nacht hinauszubegeben und Antworten zu finden, die ihm noch verborgen waren. Er schlurfte zur Tür, zog sich ein Tweedjackett über und trat in einen strahlend sonnigen Vormittag. Für einen Moment überlegte er, da er mitternächtliche Dunkelheit erwartet hatte, wie es zu dieser seltsamen Vertauschung kommen konnte.
     
    Es verstieß gegen die Dienstvorschriften, doch es gehörte zu den Regeln, die oft missachtet und selten durchgesetzt wurden. Terri Collins hatte die Akte Jennifer Riggins übers Wochenende mit nach Hause genommen und hoffte, dass ihr all die zusammenhanglosen

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