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Der Professor

Titel: Der Professor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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eine Faust. Sie starrte auf den Handzettel mit der vermissten Jennifer. Sie ließ den Ordner plötzlich auf den Boden fallen und hätte beinahe dagegengetreten. Keinerlei Hinweise in die eine oder andere Richtung. Keine lohnenswerte Spur, nicht das kleinste Indiz, dem sie etwas abgewinnen konnte.
    Sie seufzte und stand auf. Sie trat ans Fenster und starrte hinaus. Sie sah den Kindern beim Spielen zu; alles war für einen Vormittag am Wochenende vollkommen normal.
Für die Riggins wohl kaum.
    Sie holte tief Luft und machte sich mit dem Gedanken vertraut, dass sie bald Mary Riggins beiseitenehmen und ihr eröffnen musste, sie wüssten vorerst nicht weiter, bis vielleicht irgendein neuer Hinweis oder Beweis auftauchte. Dieses Gespräch stand ihr bevor. Polizisten sind darin versiert, schlechte Nachrichten zu übermitteln. Es ist eine besondere Kunst, der Familie des Opfers die Einzelheiten einer Überdosis oder eines Unfalls oder eines Mordes zu erklären, ihnen die Fakten zu vermitteln, ohne dass sie unter der Willkür des Lebens zerbrachen. Die emotionale Seite dieser Gespräche überließ man besser Priestern und Therapeuten. Dennoch lag es bei ihr, Mary Riggins zu erklären, dass sie vorerst nicht weiterkam, was vermutlich bedeutete, dass Jennifer, falls sie überhaupt noch am Leben war, voraussichtlich nicht zurückkehrte. Es war nicht fair.
    So viele Tragödien im Leben sind vermeidbar,
dachte Terri.
Doch die Menschen sind zu passiv. Sie warten ab, bis es zu spät ist.
Sie betrachtete ihre eigenen Kinder. Sie war anders, sie hatte Schritte unternommen, um Schlimmeres zu verhüten.
    Der Gedanke war irgendwie beruhigend, auch wenn sie wusste, dass es nur die halbe Wahrheit war.
Wir lügen uns gerne in die Tasche,
flüsterte sie. Sie sammelte ihr ganzes Material zusammen und beschloss, Mary Riggins und Scott West noch am selben Tag aufzusuchen. Sie würde ihnen keine neuen Informationen bringen und sie behutsam auf das vorbereiten, was aus Terris Sicht das wahrscheinlichste Ergebnis war: Jennifer würde nicht wiederkommen.
    Sie scheute sich,
nie
hinzuzusetzen. Das tat kein Polizist, und so wäre es auch für das bevorstehende Gespräch tabu.

33
    J ennifer träumte halb von ihrem Zuhause in den Jahren, bevor ihr Vater starb, halb von Essen und Trinken – mehr als irgendetwas anderes wünschte sie sich eine kalte Cola light und ein Sandwich mit Erdnussbutter, Avocado und Kresse – als sie plötzlich in der Ferne den Knall einer Tür hörte, die zugeschlagen wurde, und in einem Streit erhobene Stimmen. Wie zuvor bei dem schreienden Baby und bei den spielenden Kindern drehte sie den Kopf in die Richtung des körperlosen Krachs, um auszumachen, worum es ging: Bei der Lautstärke waren die Worte nicht zu verstehen, die Gefühle, die sie zum Ausdruck brachten, dagegen schon. Jemand war sehr wütend.
    Zwei Jemands, korrigierte sie sich. Der Mann und die Frau.
Wer sonst.
    Sie horchte angespannt nach links und rechts. Nur am Rande war ihr bewusst, dass vielleicht sie der Grund der Auseinandersetzung war. Sie lauschte und merkte, wie sie sich an jedes Geräusch klammerte, um die schrillen Wutausbrüche zu verstehen und sich einen Reim darauf zu machen, was vor sich ging.
    Sie konnte einzelne Kraftausdrücke verstehen:
Du kannst mich mal! Wichser! Fotze!
Jedes schneidende Wort traf sie wie ein Messerstich. Sie schnappte einzelne Satzfetzen auf:
Hab ich’s nicht gesagt! Wieso sollte irgendjemand auf dich hören! Du hältst dich ja für so gescheit, aber da täuschst du dich gewaltig!
Es war, als platzte sie mitten in eine Geschichte hinein, mit einem ungewissen Ende und einem nicht zu rekonstruierenden
     Anfang.
    Mister Braunbär in den Armen, lag sie reglos und hellwach auf dem Bett. Der Streit schien zunächst heftiger zu werden, dann zu verebben, sich erneut zu erhitzen und zu beruhigen, bis sie auf einmal hörte, wie Glas zersprang. Sie stellte sich vor, wie ein großes Gefäß quer durch ein Zimmer geworfen wurde und an der Wand zerbrach, so dass die Scherben in alle Richtungen flogen. Es folgte ein dumpfes Geräusch wie von einem Schlag, dann ein verhaltener Schrei.
Er hat sie geohrfeigt,
dachte sie.
    Dann kamen ihr Bedenken.
Vielleicht eher sie ihn?
    Sie griff nach jeder Gewissheit, die womöglich durch die Wände ihres Gefängnisses hereindrang, doch es gab keine – außer dass jenseits ihrer Dunkelheit etwas Gewalttätiges, Heftiges vor sich ging. Es schien, als stünde dort draußen etwas kurz vor dem Ausbruch,

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