Der Professor
hatte sie nicht zu befürchten, dass er ihr ins Handwerk pfuschen würde. Sie blickte sich unter den anderen Autofahrern um und hielt an, um einen Schulbus vorbeizulassen, der an einer Grundschule in die Aussteigespur schwenkte.
Das erinnerte sie daran, Mark Wolfe mehr Druck zu machen. Zwar glaubte sie nicht, dass sie ihn dazu bringen konnte, noch am selben Tag seine Sachen zu packen und alle seine perversen Wünsche in eine andere Gemeinde mitzunehmen, wo sich die dortige Polizei damit herumschlagen durfte – anderen den Dreck vor die Füße kehren, hieß es im Jargon der Polizei, wenn die Verantwortung auf einen anderen Zuständigkeitsbereich überging. Doch der Tag, an dem seine Mutter ins Pflegeheim kam, das war der Tag, an dem sie Mark Wolfe klarmachen würde, dass es eine brillante Idee wäre wegzuziehen.
Sie fuhr an der Schule vorbei und warf einen flüchtigen Blick zur Seite, wo der gelbe Bus seine Ladung ausspie. Zwei gestresste Lehrer dirigierten die ungezügelte Bande zur Eingangstür. Der Anfang eines ganz normalen Tages. Sie wusste, dass ihre eigenen Kinder schon drinnen waren, hoffte aber trotzdem, noch einen Blick auf sie zu erhaschen. Sie stellte sich vor, wie sie in ihrer jeweiligen Klasse geräuschvoll ihren Platz aufsuchten. Auf dem Stundenplan standen Mathematik und Kunst, und keins der Kinder hatte die geringste Ahnung, dass quasi um die Ecke alle möglichen Gefahren lauerten. Es war ein Ding der Unmöglichkeit, jedes Kind vor jedem Schaden zu behüten. Was ihr kein bisschen dabei half, sich weniger verantwortlich zu fühlen.
Das Polizeirevier lag nur fünf, sechs Straßen von der Schule entfernt, und sie bog auf den Parkplatz hinter dem Gebäude ab. Sie schnappte sich die Schultertasche, Dienstmarke und Waffe. Sie schätzte, dass der Professor eine weitere strenge Mahnung brauchte, nicht in die Polizeiarbeit hineinzupfuschen – eine Mischung aus Standpauke und Drohgebärde.
Es war angenehm warm.
Einbruchszeit,
musste sie denken. Stiegen die abendlichen Temperaturen, fühlten sich nächtliche Diebe ermutigt. Das waren meist ärgerliche Verbrechen, weil der Verlust in der Regel in keinem Verhältnis zu dem bürokratischen Aufwand stand, den die Versicherungsgesellschaften forderten, und die Opfer zudem auf längere Sicht verängstigt waren. Das ganze kriminelle Unternehmen artete für alle Beteiligten in einen einzigen Nervenkrieg aus.
Mit der Aussicht, den Rest des Tages über eingehenden Meldungen und Anzeigen zuzubringen und allenfalls zu einem Wohn- oder Geschäftshaus rauszufahren, um sich ein eingeschlagenes Fenster oder eine zersplitterte Küchentür anzusehen, betrat Terri Collins die Station.
Ihr erster Blick fiel auf den Sergeant im Dienst, der im Eingangsbereich hinter dem Sicherheitsglas an seinem Wachtisch saß. Der Beamte hatte graues Haar und einen Schmerbauch, doch ein sicheres Händchen für Leute, die hereinstürmten, um sich lautstark über nicht angeleinte Hunde, über Studenten, die in den öffentlichen Parkanlagen in einen Busch pinkelten, über widerrechtlich geparkte Autos und ähnliche Ärgernisse zu beschweren. Der Sergeant verwies sie dann auf eine Reihe harter Plastikstühle an der Wand. Dies nannte sich Warteraum.
»Der Typ da wartet schon seit einiger Zeit auf Sie«, sagte der Sergeant durch das Sicherheitsglas. Terri rührte sich nicht, als Mark Wolfe sich erhob. Er wirkte irritiert und verdrießlich, und seine Erscheinung ließ darauf schließen, dass er übernächtigt war. Sie ließ ihn gar nicht erst zu Wort kommen. »Wie darf ich es mir erklären, dass Professor Thomas mich mit Ihrem Handy angerufen hat?«
Wolfe zuckte die Achseln. »Ich hab ihm bei ein paar Recherchen geholfen, und er hat mich darum gebeten …«
»Was für Recherchen?«
Wolfe trat von einem Bein aufs andere. Er senkte die Stimme. »Deshalb bin ich ja hier. Ich meine, ich hätte die Sache einfach fallenlassen sollen, aber der alte Herr …«
»Mister Wolfe,
was für Recherchen?
«
»Ich hab ihm dabei geholfen, nach diesem Mädchen zu suchen. Klein-Jennifer. Die Kleine, die verschwunden ist.«
»Was verstehen Sie unter ›ihm helfen‹? Und was genau heißt ›suchen‹?«
»Er ist davon überzeugt, dass die Kleine auf irgendeiner Porno-Website auftaucht. Er hat ein paar ziemlich wilde Theorien darüber, weshalb sie entführt worden ist, und …« Wolfe sprach nicht weiter.
Das leuchtete durchaus ein, besonders die »wilden Theorien«. »Und was führt Sie nun her? Sie
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