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Der Professor

Titel: Der Professor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Er hing zwischen zwei Welten in der Luft. Zuerst hatte die Krankheit nur an ihm genagt und ihn in kleinen Dingen behindert, die für die meisten Menschen selbstverständlich sind. Jetzt verschlang sie ihn im großen Stil. Er spannte sämtliche Muskeln an. Er sagte sich, er dürfe sich nur nicht unterkriegen lassen. Er murmelte: »Du gibst jetzt nicht auf, du zögerst nicht. Du bringst das hier zu Ende, so wie du es gewohnt bist.« Seine eigene Stimme hallte durch sein kleines, mit Büchern vollgestopftes Arbeitszimmer wie durch ein Gewölbe.
    Adrian fegte alle Zweifel vom Tisch und rief Google Earth auf. Der Bildschirm zeigte eine Adresse. Diese brachte ihn zu einem Immobilienangebot. Vor ihm erschien ein Dutzend Farbaufnahmen von einem alten, baufälligen, zweistöckigen Bauernhaus. Es wurden der Name und die Telefonnummer eines Maklers genannt. Er klickte auf das lächelnde Konterfei der Frau und stellte fest, dass sie viele Objekte anbot. Jedes davon wurde in glühenden Farben gepriesen. Adrian glaubte dem Anschein nicht. Er merkte, wie Cassie ihm über die Schulter sah. Auch sie gab wohl nichts auf die Beschreibung.
    »Abgelegene Kaffs in der Pampa«, sagte Cassie, »die sich erhoffen, dass ein paar Reiche bei ihnen Wurzeln schlagen, ihr Geld ausgeben und alle, die da schon festhängen, aus dem Dreck ziehen.« Adrian sah das genauso und nickte.
    »Da interessiert es keinen Menschen, was jemand treibt«, fuhr Cassie fort, »solange der es im Stillen tut und keine Schulden macht. Keine naseweisen Nachbarn, keine neugierigen Cops, würde ich vermuten. Einfach nur eine Menge stille, abgeschiedene Fleckchen fern der ausgetretenen Pfade.«
    Adrian klickte den Befehl »Drucken« an und löste das vertraute Sirren aus.
    »Besonders die Bilder. Du wirst die Bilder brauchen«, drängte ihn Cassie. Es kam ihm vor wie die Ermahnung, im Supermarkt nichts zu vergessen.
    »Ich weiß«, antwortete Adrian. »Ich hab sie.«
    »Du musst wirklich los«, drängte Cassie. Sie sprach mit dieser Bestimmtheit, die keinen Widerspruch duldete und ihn an Situationen erinnerte, in denen Tommy in Schwierigkeiten steckte. Das war nicht oft passiert, doch in diesen seltenen Fällen hatte Cassie die Kunst an den Nagel gehängt und sich in eine Methodistenpfarrerin im schwarzen Talar verwandelt. Er stand auf und schnappte sich sein Sakko von der Rückenlehne.
    »Du hast, glaube ich, noch was vergessen«, sagte sie.
    Adrian nickte, denn er wusste genau, was sie meinte. Er freute sich, als er bemerkte, dass er mit festen Schritten das Zimmer durchquerte. Kein betrunkenes Schwanken, keine unbeholfenen Gehversuche. Nichts von der Unsicherheit eines alten Mannes. In der Diele sah er sich noch einmal um. Die Erinnerungen stürzten wie ein tosender Wasserfall auf ihn ein – jeder Winkel, jedes Regal, jedes kleine Plätzchen erinnerte ihn an vergangene Tage. Er fragte sich, ob er je nach Hause zurückkehren würde. Als er so dastand, flüsterte Cassie neben ihm: »Du brauchst einen Vers. Etwas Bewegendes. Etwas, das die Moral stärkt. ›Eine halbe Stunde, eine halbe Stunde noch voran …‹ oder ›Der heut’ge Tag heißt Crispianus’ Fest …‹.«
    Adrian hörte den Klang der Poesie in seinem Kopf, und sie brachte ein Lächeln auf seine Lippen.
Gedichte über Krieger.
Er trat in den frühen Morgen und stellte fest, dass sich seine Frau aus irgendeinem unerfindlichen Grund plötzlich von ihrem gemeinsamen Zuhause löste und an seiner Seite blieb. Er verstand nicht, weshalb sie nicht länger drinnen eingesperrt war, doch die Veränderung machte ihn glücklich und beschwingt. Er spürte, dass sie im Gleichschritt mit Brian ging, und vermutete, dass auch Tommy nicht weit war.
    Adrian und seine Toten marschierten zielstrebig zu seinem alten Volvo, der in der Einfahrt wartete.
     
    Adrians Stimme am Handy von Mark Wolfe hatte sich bei Terri Collins in einem dunklen Winkel ihres Bewusstseins eingenistet und ließ ihr seit dem Anruf keine Ruhe mehr. Sie konnte sich keinen Reim darauf machen, was die beiden zusammenbrachte und veranlasste, ihr Fragen über Tattoos und Narben zu stellen.
    Sie war auf dem Weg zu ihrem Büro. Wie jeden Morgen um die Zeit verschonte die Rushhour nicht einmal die Hauptverkehrsadern der hehren kleinen Universitätsstadt.
    Herauszubekommen, was der Professor im Schilde führte, stand auf ihrer Erledigungsliste ganz obenan. Da ihre Ermittlungen ohnehin zum Stillstand gekommen waren,

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