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Der Professor

Titel: Der Professor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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er seinen einzigen Sohn getötet hat … nur noch der Ausweg in den Wahnsinn bleibt. Also wird er verzaubert und muss mit Schwert und Schild gegen die Meereswogen kämpfen.«
    »… Das unverwundbare Meer …«,
zitierte Brian. Wie zum Zeichen an einen Zug Soldaten, der ihm im Gänsemarsch folgte, und nicht nur an seinen einzigen Bruder, das Tempo zu drosseln, hob er die Hand.
    Brians Blick fiel auf einen mit roten Ziegeln gepflasterten Gehweg. »Ich sag dir, Audie«, flüsterte er. »Versuch’s mal an dem Haus.« Obwohl er so leise sprach, verlieh Brian diesen Worten die Autorität eines Befehls.
    Adrian sah auf. Ein gepflegtes Vorstadt-Holzschindelhaus wie jedes andere auch. So wie sein eigenes Haus.
    Er seufzte und stieg die Eingangstreppe hoch, während sein Bruder auf dem Bürgersteig blieb. Er klingelte zweimal, und als er gerade umkehren und wieder gehen wollte, hörte er drinnen eilige Schritte. Die Tür öffnete sich einen Spalt, und er sah sich einer Frau im mittleren Alter mit geröteten Augen und zerzaustem, blondem Haar gegenüber, die ein Geschirrtuch in der Hand hielt. Sie roch nach Zigarettenrauch und Sorgen und sah aus, als hätte sie wochenlang nicht mehr geschlafen.
    »Tut mir leid, wenn ich störe«, fing Adrian an.
    Die Frau starrte an ihm vorbei auf die Straße. Ihre Stimme bebte, doch sie versuchte, höflich zu sein. »Hören Sie, was immer Sie wünschen, ich bin nicht interessiert. Danke, aber nein danke.«
    So schnell sie geöffnet hatte, war die Frau dabei, die Tür wieder zu schließen.
    »Nein, nein«, sagte Adrian. In seinem Rücken hörte er, wie sein Bruder schrie:
Zeig ihr die Kappe!
Er streckte ihr die rosa Mütze entgegen.
    Die Frau erstarrte.
    »Die hab ich auf der Straße gefunden. Ich suche nach …«
    »Jennifer«, sagte die Frau.
    Sie brach in Tränen aus.

10
    B is es Terri Collins gelang, die Festplatte von Jennifers Computer zu knacken und alles zu kopieren, ohne es gleichzeitig zu löschen, war es heller Vormittag, und sie fühlte sich trotz eines kleinen Nickerchens auf einem Sofa vor einem der Vernehmungszimmer wie gerädert. Das Büro rings um sie her war zu geschäftigem Leben erwacht. Die anderen drei Kommissare ihres bescheidenen Reviers saßen an ihren Schreibtischen und telefonierten oder gingen bei ihren diversen offenen Fällen anderen Aufgaben nach.
    Zu allem Überfluss hatte sie vom Büro des Chiefs eine Aufforderung erhalten, ihn bis Mittag auf den neuesten Stand zu bringen, und so machte sich Terri ein wenig in Hetze daran, eine erste Einschätzung von Jennifers Verschwinden vorzubereiten. Um den Fall weiter bearbeiten zu können, musste sie zumindest den Eindruck erwecken, dass es dabei um ein Verbrechen ging, denn sonst würde der Chief ihre Arbeit auf die Schritte beschränken, die sie bereits unternommen hatte – ein Foto mit Personenbeschreibung und außerdem auf bundesstaatlicher sowie landesweiter Ebene eine Suchmeldung herausbringen, um sich dann wieder in Fälle zu vertiefen, bei denen konkrete Verhaftungen und Überführungen zu erwarten waren.
    Sie warf einen schuldbewussten Blick auf die Fallordner, die sich auf einer Ecke ihres Schreibtischs stapelten, darunter drei Sexualdelikte, ein Fall von Körperverletzung – eine Schlägerei in einer Bar zwischen Yankee- und Red-Sox-Fans –, ein bewaffneter tätlicher Angriff – wozu in aller Welt hatte dieser Student aus dem vornehmen Bostoner Vorort Concord auch ein Springmesser dabeigehabt? – sowie ein halbes Dutzend Drogendelikte, von einem Fünf-Dollar-Quentchen Marihuana bis hin zu einem Studenten drüben an der Universität, der verhaftet wurde, als er einem verdeckten Campuspolizisten ein Kilo Kokain verkaufen wollte.
    Jede Akte erforderte ihre Aufmerksamkeit, besonders die Sexualdelikte, bei denen es fast immer mehr oder weniger gleich ablief – Mädchen wurden in einem Verbindungshaus oder einer Party in einem Studentenwohnheim abgefüllt und ausgenutzt. Jedes Mal waren die Opfer verunsichert, weil sie sich zumindest teilweise selber die Schuld an dem gaben, was geschehen war. Vielleicht, dachte Terri, war ja auch was dran. Übermäßiger Biergenuss spülte die Hemmungen weg, es folgte aufreizendes Tanzen, und möglicherweise ließen sie sich sogar von den üblichen Zurufen verleiten:
Zeig uns deine Titten.
    Aber auch wieder nicht gar so sehr. Bei jedem dieser Fälle standen die Ergebnisse toxikologischer Untersuchungen an, und sie schätzte, dass die Ecstasy-Tests ausnahmslos

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