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Der Professor

Titel: Der Professor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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verstehen, das gestopft werden will.«
    »Du warst immer ein Organisationsgenie.«
    »Die Army war eine gute Schule. Das Jurastudium erst recht. Kann mich wirklich nicht beklagen.«
    »Dann hilfst du mir?«
    »Deshalb bin ich ja hier. Genau wie Cassandra.«
    Adrian hielt inne. Tote Frau. Toter Bruder. Jeder würde die Dinge ein wenig anders sehen. Es war ihm völlig egal, wer ihn in diesem Moment dabei beobachten konnte, wie er sich angeregt mit der Luft unterhielt. Hauptsache,
er
wusste, wer gerade bei ihm war.
    Brian hatte das Magazin aus dem M-16 genommen und klopfte damit auf die Motorhaube des Volvo, um sich zu vergewissern, dass es voll war. Adrian hätte gerne die Hand ausgestreckt und die abgewetzten Kleider berührt. Er roch getrockneten Schweiß und Dschungelmoder und ein bisschen Kordit. Es wirkte alles ganz real, und obwohl er wusste, dass es Täuschung war, hatte er nichts dagegen. »Ich hab immer gedacht, ich hätte auch gehen sollen, so wie du.«
    Brian schnaubte verächtlich. »Nach Vietnam? Falscher Krieg zur falschen Zeit. Sei kein alter Narr. Ich bin aus den denkbar schlechtesten Gründen gegangen. Romantische Flausen, Abenteuer und Pflichtgefühl – das war vielleicht nicht so falsch –, aber Loyalität und Ehre und all die hehren Begriffe, mit denen wir um uns schmeißen, wenn Männer in die Schlacht ziehen. Und ich hab einen hohen Preis gezahlt, falls du es vergessen hast.«
    Adrian fühlte sich ein wenig zurechtgewiesen. Wenn er mit seinem jüngeren Bruder über Gefühlsdinge zu reden versuchte, hatte es ihm immer die Sprache verschlagen, und er hatte nur noch herumgedruckst. Alles an Brian schien immer so vollkommen, so bewundernswert. Ein Krieger. Ein Philanthrop. Ein Mann des Gesetzes und der Vernunft. Selbst als sie erwachsen waren und er dank seiner Ausbildung ein klinisches Verständnis davon bekam, was posttraumatische Belastungsstörung und die düsteren Depressionen zu bedeuten hatten, an denen Brian unablässig litt, war es ihm schwergefallen, die Dinge, die er im Hörsaal gelernt hatte, auf eine reelle Person zu übertragen, die er liebte. Es gab so viele Dinge, die er sagen wollte, doch kaum hatte er sie auf den Lippen, purzelten sie in die Spalten des Vergessens.
    Brian schlug sich an den Blechtopfhelm auf seinem Kopf und schob ihn zurück, so dass er mit seinen blauen Augen einen Blick über den Parkplatz der Apotheke werfen konnte. »Gute Stelle für einen Hinterhalt«, sagte er träge. »Na ja, was soll’s. Frage Nummer eins: Wer ist Jennifer? Das müssen wir als Erstes rausbekommen, bevor wir uns um das Wieso kümmern können.«
    Adrian nickte. Sein Blick fiel auf die rosa Red-Sox-Kappe auf dem Autositz. Brian sah sie ebenfalls.
    »Genau«, sagte der jüngere Bruder ruhig. »Irgendjemand wird sie wiedererkennen. Du sagst, das Mädchen war zu Fuß?«
    »Ja. Sie lief ziemlich forsch Richtung Bushaltestelle.«
    »Dann kam sie irgendwo aus deinem Viertel?«
    »Das ist anzunehmen.«
    »Na, also«, sagte Brian, »dann fang damit an. Zieh im Geist einen Kreis um den Ausgangspunkt. Sagen wir, mindestens sechs Straßen, und dann lauf sie systematisch ab. Notier dir, wo du hingehst, schreib dir die genauen Adressen auf und was die Leute sagen. Jemand wird diese Kappe sehen, den Namen hören und dich auf die richtige Fährte setzen.«
    »Aber das müssen, ich weiß nicht, fünfzig, vielleicht fünfundsiebzig Häuser sein … Das sind eine Menge Klingeln.«
    »Und du wirst jede davon drücken.« Adrian nickte. »Hör mal, Audie«, sprach ihn Brian jetzt mit seinem Kosenamen aus der Kindheit an, »Polizeiarbeit besteht größtenteils aus einer Menge Lauferei. Es ist nicht Hollywood und nicht ganz so glamourös. Es ist harte Arbeit. Wie Gewichtheben. Es geht darum, aus Möglichkeiten Fakten und Einzelheiten zu gewinnen und sie dann zusammenzusetzen. Die meisten Fälle sind Puzzlespiele. Krimiautoren und Fernsehproduzenten tun gerne so, als ginge es um die
Mona Lisa
oder eine Weltkarte, die aus tausend Teilen zusammengesetzt werden muss, dabei ähneln die meisten Fälle eher diesen Holzblock-Puzzles, die sie Vorschulkindern geben. Wo das Teil mit der Kuh oder der Ente in die Aussparung für die Kuh oder die Ente gesteckt wird. Aber so oder so siehst du was, wenn du fertig bist. Deshalb ist es ja so befriedigend.«
    Brian überlegte. »Weißt du noch, wie ich dir von dem Fall erzählt habe, den ich da drüben hatte? Es war in dem Sommer nach meiner Rückkehr, und wir waren draußen auf

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