Der Professor
dem Cape, und wir hatten am Strand ein Feuer gemacht und vielleicht ein paar Bierchen zu viel intus, und ich hab dir davon erzählt … Die Sache, als ich am Ende jeden Mann mindestens viermal befragen musste, bevor sich die Geschichte allmählich herauskristallisierte …«
Allerdings erinnerte sich Adrian daran. Brian hatte kaum einmal über seine Zeit beim Militärgericht und über das Kampfgeschehen gesprochen, das er erlebt hatte.
Es war um einen Fall von Vergewaltigung gegangen. 1969. Der Fall war voller irritierender Unstimmigkeiten gewesen. Bei dem Opfer handelte es sich um eine Vietcong – da war sich Brian ebenso sicher gewesen wie die Männer, die der Straftat angeklagt waren, auch wenn es keine konkreten Beweise gab. Sie gehörte also den Feinden an, folglich hatte sie das, was ihr passierte, verdient, so zumindest rechtfertigten sich fünf Männer, die sich im Vollrausch abwechselten, bis sie fast tot war. Es handelte sich um einen dieser Fälle, bei denen es einfach keine moralisch gute Seite gab, bei denen die Wahrheitsfindung in Bezug auf einen kleinen Nebenschauplatz des Krieges nichts Gutes gezeitigt hatte. Eine Vergewaltigung hatte stattgefunden. Der befehlshabende Offizier erteilte Brian den Auftrag zu ermitteln. Es gab Schuldige. Doch nichts geschah. Brian reichte seinen Bericht ein. Der Krieg ging weiter. Menschen starben.
Brian schulterte sein Gewehr und zeigte auf die Straße. »Da lang«, sagte er. »Es ist vielleicht mühsam, muss aber sein. Vergisst du auch nicht, was du die Leute fragen sollst? Wär nämlich schlecht, wenn du es vergisst …«
»Du wirst mich immer wieder erinnern müssen«, sagte Adrian. »Irgendwie entgleiten mir die Dinge, wenn ich nicht genug drauf achte.«
»Ich werde da sein, wenn du mich brauchst«, sagte Brian.
Adrian wollte ihm gern antworten, er wünschte sich, er hätte ihm damals dasselbe sagen können. Er war nicht da gewesen, als ihn sein Bruder brauchte. So einfach war das. Er hätte darüber weinen können. Dies wiederum zeigte nur, dass seine Krankheit es ihm erschwerte, die Wechselbäder seiner Gefühle in den Griff zu bekommen. Er wusste, dass er nicht mitten an einem strahlenden, milden Frühlingsmorgen auf dem Parkplatz einer Apotheke in dem kleinen, geschäftigen Einkaufszentrum am Rande seiner Stadt in Tränen ausbrechen durfte. Er würde nur unnötig Aufmerksamkeit erregen. Es gehörte sich nicht. Schon gar nicht für den Detektiv, der er von jetzt ab werden musste.
Adrian setzte sich hinters Lenkrad und machte sich auf die Heimfahrt in sein Viertel, das ihm jetzt selbst unter sonnigem Himmel viel düsterer und geheimnisvoller erschien, als er je für möglich gehalten hätte.
Von den ersten zwanzig Türen, an die er klopfte, blieb fast die Hälfte verschlossen, und die andere Hälfte erwies sich nicht als hilfreich. Die Leute waren höflich, doch kurz angebunden – sie nahmen an, dass er etwas verkaufen wollte oder für einen guten Zweck wie sauberes Trinkwasser Spenden sammelte oder wie die Zeugen Jehovas missionierte, und wenn er dann die Kappe zeigte und den Namen nannte, waren sie perplex.
Er war mit Brian, der ein Stück weiter vorne lief, allein. Sein Bruder hatte gegen die grelle Morgensonne eine Fliegerbrille aufgesetzt und legte die Energie eines jungen Mannes an den Tag, so dass er Adrian immer ein gutes Stück voraus war. Adrian fühlte sich unterwegs sehr alt – obwohl er nicht müde war und sich insgeheim darüber freute, dass sich seine festen Wadenmuskeln nicht darüber beklagten, mit dem Geist seines Bruders Schritt halten zu müssen.
Er blieb stehen, hielt das Gesicht in die Sonne und starrte in die Strahlen, die mit den Schatten tanzten. Es war immer ein Wettstreit zwischen den Aufgaben, Licht hineinzubringen und das Dunkel aufzuspüren. Das brachte ihn auf ein Gedicht; seine Lieblingsdichter waren immer diejenigen, die sich auf dem schmalen Grat zwischen Gut und Böse bewegten.
»Yeats«, sagte er laut. »Brian, hast du mal
Cuchulains Kampf mit dem Meer
gelesen?«
Brian nahm das Gewehr herunter und blieb ungefähr einen Meter vor ihm stehen. Er kauerte sich hin, ging auf ein Knie und starrte geradeaus, als inspizierte er einen Dschungelpfad und nicht ein Vorstadtviertel. »Klar, aber sicher. Zweites Jahr über poetische Traditionen in der modernen Dichtung. Ich glaube, du hast dasselbe Seminar belegt und eine bessere Note bekommen.«
Adrian nickte. »Mir hat gefallen, wie dem Helden, als er merkt, dass
Weitere Kostenlose Bücher