Der Professor
Schmerztabletten überleben würde.
Der Abend brach herein. Der alte Professor erinnerte sie an einen Vogel, der sich an den dünnen Zweig einer fixen Idee klammerte.
Welche Optionen habe ich?
, dachte sie. »Also gut«, sagte Terri. »Lassen Sie hören.«
Adrian hielt der Polizistin die Tür auf und geleitete sie ins Haus. Er zögerte, als rechnete er damit, dass auch Brian an ihm vorbei in den Flur huschte, doch sein toter Bruder blieb ein paar Schritte entfernt auf den Eingangsstufen stehen.
»Kann da nicht reingehen«, sagte er kurz und bündig, als verstünde sich das von selbst. Adrian wirkte wohl überrascht, denn Brian fügte schnell hinzu: »Selbst Halluzinationen folgen Regeln, Audie. Sie richten sich jeweils nach den Umständen, aber das wusstest du vermutlich schon. Trotzdem, ich befolge sie.«
Adrian nickte. Irgendwie leuchtete das ein, auch wenn er nicht wusste, wieso.
»Hör zu, was jetzt kommt, schaffst du allein. Du kennst dich mit Verhaltensforschung und mit Verbrechen aus, und dein Kumpel drüben an der Universität hat dir die
einzige
Richtung gewiesen, die auch nur ansatzweise Erfolg verspricht, jetzt musst du nur noch die Kripofrau davon überzeugen. Du kannst das.«
»Ich weiß nicht …«
Er hörte, wie ihm seine Frau etwas ins Ohr flüsterte.
»Ja, du kannst das, Schatz.«
Cassie klang absolut zuversichtlich, und als sich Adrian zu Brian umsah, hob der Geist seines Bruders zur Ermunterung die Faust, denn auch er hatte wohl Cassies Worte gehört.
»Hier lang?«, fragte Terri Collins.
Adrian schüttelte die Erinnerungen ab. »Ja, nach rechts bitte. Wir setzen uns am besten ins Wohnzimmer. Möchten Sie eine Tasse Kaffee?« Er machte ihr das Angebot, ohne nachzudenken, dabei wurde ihm bewusst, dass er wahrscheinlich gar keinen Kaffee in der Küche hatte und dass er auch nicht recht wusste, wie man Kaffee zubereitete, selbst wenn er welchen gehabt hätte. Und für einen Augenblick war er nicht einmal sicher, wo die Küche war. Er holte tief Luft, erinnerte sich daran, dass er seit vielen Jahren in diesem Haus wohnte und die Küche hinter dem Wohnzimmer kam, vor dem Gäste- WC . Die Treppe führte zum Schlafzimmer hinauf, und alles war an seinem gewohnten Platz.
Die Ermittlerin schüttelte den Kopf. »Nein. Kommen wir gleich zur Sache.«
Sie trat ins Wohnzimmer. Überall lagen Bücher herum, standen halb leer gegessene Kaffeetassen mit Müsli und geronnener Milch, Teller mit Essensresten und hier und da Besteck. Überall stapelten sich Papiere, im Fernsehen lief, ohne Ton, ein Sportprogramm, und über dem Ganzen lag ein stickiger, muffiger Geruch. Es war ziemlich chaotisch, stellte sie fest, aber noch nicht hoffnungslos – nichts, was sich nicht in einer gut durchdachten Aufräum- und Putzaktion an einem Nachmittag korrigieren ließ. Der Raum und das Haus als Ganzes machten einen ähnlichen Eindruck, wie ihn kleine Kinder hinterließen, die sich an herumliegenden Spielsachen und Kleidern wenig störten, oder eben alte Leute, die sich mit Andenken und Krimskram umgaben. Beide Gruppen scherten sich wenig um Ordnung.
»Ich lebe inzwischen allein«, sagte Adrian. »Entschuldigen Sie bitte das Durcheinander.«
»Ich hab kleine Kinder, ich bin’s gewohnt«, log die Polizistin nachsichtig. Sie nahm ein paar Zeitungen von einem Stuhl und setzte sich, wobei ihr nicht entging, dass auf einem Stoß drei Wochen alter Ausgaben des
Boston Globe
ein paar Formulare einer Arztpraxis lagen, die erst teilweise ausgefüllt waren. Sie versuchte, etwas davon zu überfliegen, doch vergeblich. »Also«, sagte sie. »Schlagen Sie vor, was wir Ihrer Meinung nach tun können.«
Adrian räumte seinerseits ein paar Bücher aus dem Weg und ließ sich in einen Sessel fallen. Für einen Moment erfasste ihn wie beim Wechsel von Ebbe und Flut eine Woge der Verwirrung, und er merkte, wie alle Zuversicht aus seiner Stimme wich. Mit seiner anschaulichen Beschreibung des Falls, als sie eben draußen gestanden hatten, war er sehr zufrieden. Nach seinem Gefühl hatte er selbstbewusst gewirkt. Doch jetzt klang Unsicherheit durch. »Sehen Sie, Detective …« Er zögerte. »Ich möchte wirklich, dass sie noch am Leben ist, ich meine, Jennifer …«
Detective Collins hielt die Hand hoch und schnitt ihm das Wort ab. »Etwas zu wollen … und etwas dazu beizutragen sind entschieden zwei Paar Schuhe.«
Adrian nickte. »Es ist wichtig. Es ist
mir
wichtig. Ich muss sie finden. Ich meine, für mich ist es fast vorbei,
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