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Der Professor

Titel: Der Professor Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: John Katzenbach
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Tätern um eine Frau und einen Mann handelt. Demnach haben wir es mit einer sehr kleinen Bandbreite an Verbrechen zu tun, vorrangig mit einem Spektrum, das mit der Ermordung des Opfers endet.«
    Adrian hatte den selbstsicheren, akademischen Ton wiedergefunden, der ihm in Abertausenden Vorlesungen und Seminaren in Fleisch und Blut übergegangen war. Er war ihm so vertraut wie seine Lieblingsgedichte, wie Shakespeares Sonette oder die Verse von Frost. Als er merkte, wie dieser Teil von ihm, der im Schwinden begriffen war, plötzlich wiederkehrte, fühlte er sich augenblicklich viel besser.
    »Aber wenn es mit Mord endet …«
    »Ich habe nur gesagt, es endet
gewöhnlich
mit Mord.«
    »Aber …«
    »Wir müssen rechtzeitig eingreifen.«
    »Und wie …«
    »Es gibt nur eine Hoffnung, Detective, und zwar die, dass Jennifers Entführung noch einen anderen Zweck als Misshandlung und Mord erfüllt. Wenn die Täter mit ihr noch einen Zweck verbinden, der sich von dem ihr zugedachten Ende unterscheidet. Wenn wir uns auch nur die geringsten Chancen ausrechnen wollen, muss es ein Zweck sein, den wir nicht nur benennen, sondern auch zu seinen Ursachen zurückverfolgen können. Sonst warten wir besser gleich, bis irgendwo eine Leiche gefunden wird.« Er korrigierte sich. »Nicht
eine
Leiche, Jennifers Leiche.«
    »Einverstanden. Worin könnte dieser Zweck bestehen?«
    Adrian merkte, wie seine Frau ihn stupste und ihm dann die Schulter drückte. Er blickte zur Seite, und es war, als ob die Enzyklopädie, die ihm sein Freund ausgeliehen hatte, plötzlich vor seinen Augen in der Luft schwebte und die Seiten wie in einer aufkommenden Brise zu flattern begannen.
Macbeth
, dachte er. Wo Lady Macbeth die Mordwaffe halluziniert.
Ist das ein Dolch, was ich vor mir erblicke?
Nur dass vor seinen Augen ein Artikel in einem Buch schwebte, das die endlose Vielfalt an Mord und Verzweiflung dokumentierte.
    »Mir ist da eine kleine Idee gekommen«, sagte Adrian. »Vielleicht die einzige Idee.«

19
    A ls Terri Collins an diesem Abend nach Hause kam, hatte sie die Überzeugung gewonnen, dass Adrian Thomas ganz und gar verrückt war und dass bei diesem Fall verrückt zu sein wahrscheinlich den einzig gangbaren Weg darstellte.
    Kaum öffnete sie die Tür, schossen ihre beiden Kinder hinter dem Fernseher hervor. Sie wurde von einem Sturzbach an kindlichen Forderungen begrüßt – die größtenteils damit zu tun hatten, sich Geschichten über die Schule, vom Spielplatz oder vom Leseunterricht anzuhören. Es war ein bisschen so, als käme sie in ein Kino, nachdem der Film schon begonnen hatte, und würde im Stillen versuchen, genügend Informationen zu sammeln und genügend Einzelheiten herauszufinden, um sich im Nachhinein die Handlung zusammenzureimen.
    Laurie, die in der Küche an einem Spülbecken mit schmutzigem Geschirr stand, rief ihr eine Begrüßung und die Frage zu, ob sie Hunger habe. Terri sagte nein. Terris Achtjähriger fragte sie mit dem Tatendrang des kleinen Jungen: »Hast du heute Böse verhaftet?« Seine zwei Jahre jüngere Schwester, die so still war wie er laut, hing nur mit einer Hand am Bein ihrer Mutter und hielt mit der anderen eine bunte Zeichnung in die Luft.
    »Nein, heute nicht«, sagte Terri. »Aber ich denke, morgen oder übermorgen.«
    »Richtig schlimme Böse?«
    »Immer. Nur die richtig schlimmen.«
    »Gut«, sagte er, löste sich von ihr und kehrte zum Fernseher zurück.
    Zuweilen suchte Terri beklommen in jeder seiner Gesten, jedem Tonfall, jedem Gesichtsausdruck nach Ähnlichkeiten mit seinem Vater, und es schien ihr, als lebte sie mit einem Zeitzünder im Haus. Sie wusste nicht, welchen Teil ihres Ex-Ehemannes ihr Sohn geerbt hatte, doch es machte ihr Angst. Die Gene, dachte sie, sind eine bedenkliche Sache.
    Das Kind hatte schon jetzt das unbekümmerte Lächeln seines Vaters und die unwiderstehliche Lässigkeit – er war in der Schule und in der Nachbarschaft überaus beliebt. Sie fürchtete, dass sich irgendwann einmal zeigte, dass er wie sein Vater charmant und garstig zugleich sein könnte. Ihr Ex hatte in der Öffentlichkeit immer ein Lächeln auf den Lippen, erzählte einen Witz, umschmeichelte die Menschen, bis zu dem Moment, in dem man mit ihm alleine war und er seine dunkle Seite offenbarte, anfing, erbarmungslos auf einen einzudreschen. Das war die verborgene Seite, die niemand – außer ihr – je zu Gesicht bekommen hatte. Es war ein Geheimnis, und sie wusste bei ihrer Flucht, dass sie viele

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