Der Profi
ich ihm zu.
»Auch der Vernünftigste macht mal einen Fehler, Timo! Geldgier ist stets eine schlechte Ratgeberin. Wen würdest du denn für wahnsinnig genug halten, die Morde zu begehen?«
»Mmmh, schwierig zu sagen! Inzwischen viele …«
Timo spielte mit einem kleinen Rosenkranz, den er in der Hand hielt. Er ließ die Perlen abwechselnd zwischen seinen Fingern verschwinden und nahm Perle für Perle im Rundlauf um seine Hand danach langsam wieder auf. Den Rosenkranz hatte er seinem ersten Todesopfer abgejagt. Seitdem trug er ihn in Erinnerung an seine Bluttaufe bei sich. Seine makellos gepflegten Fingernägel schlugen von Zeit zu Zeit gegen die Perlen aus Ebenholz. Es war das einzige Geräusch, das man im Inneren des Audi vernahm. Auf der Rückseite der Kopfstütze des Chauffeurs befand sich ein kleiner Videobildschirm, auf dem ohne Ton die neuesten Börsenkurse gezeigt wurden.
»Hast du in letzter Zeit mit Viktor gesprochen?«
Plötzlich versteifte sich Timos Haltung. Die schwarzen Perlen des Rosenkranzes hielten inne.
»Viktor sitzt in Gefängnis … und Gagarin ist Trottel!«
»Aber beide sind von Boris eingesetzt, Wladimir Matewosoritsch, und dadurch unanfechtbar. Du bist besser beraten, deinen Bossen Gehorsam zu leisten.«
»Gehorsam leisten?«, raunte er mit einer Stimme, die längst nicht mehr wie das hypnotische Schnurren eines Kätzchens klang. Sie hatte ihre einstudierte Sanftheit schlagartig verloren.
Wir hielten an einer Ampel. Neben uns verrenkte sich ein Fahrradkurier mit Helm, um zu erkennen, welcher stadtbekannte Politiker oder Superstar sich hinter den verdunkelten Scheiben verbarg. Timo zog geräuschvoll den Rotz hoch und nahm dann seine Sonnenbrille ab, um sie zu reinigen: Zu viel Kokain hatte ihm rote Augen und ein nervöses Zucken an einem Augenlid beschert.
Schließlich sagte ich:
»Das Überleben der Organisation beruht auf einer strengen Hierarchie. Aber das brauch ich dir, glaube ich, nicht extra zu erklären. Ohne Befehl und Gehorsam herrscht nur Chaos. Die Bestien, die uns beseitigen wollen, nutzen dieses Chaos schamlos aus. Der torpedy gehorcht dem brigadir und dieser dem vor. Sie alle unterstehen Boris Iwanowitsch. So war es immer, und so wird es auch immer bleiben. Selbst wenn es Menschen gibt, die das ändern wollen.«
Er rückte sich die Brille zurecht und gewann seine Haltung wieder.
»Stimmt, Corsini! Organitskaya ist zu wichtig, um sie in Gefahr zu bringen. Risiko zu groß, wenn vory schwach. Geschichte von Mafia war immer Geschichte von Starken.« Dann formte Timo mit seinen Händen zwei Fäuste und redete auf Russisch weiter. In seiner Sprache konnte er sich nun mal flüssiger ausdrücken. An dieser Stelle gebe ich sinngemäß wieder, was ich von seinen Worten verstand: »Furchtlose Männer, Corsini, Männer mit Entscheidungskraft … Das 21. Jahrhundert ist eine neue Epoche! Sie gehört nicht den Ängstlichen, sondern den Tapferen. Den schlauen und intelligenten Soldaten. Männern, entschlossen, den Regeln zu trotzen und neue Wege zu suchen. Jesus Christus, Dschingis Khan, Julius Cäsar, Hernando Pizarro, Hitler und Stalin … Glaubst du etwa, Viktor Stonowitsch oder Gagarin sind auf der Höhe dieser Männer? Ehrlich gesagt, ich glaube es nicht. Sie sind die Überbleibsel einer Zeit, in der es keine Konkurrenz gab. Unsere Welt zerfällt wie ein Kadaver. Wir besetzen nur noch eine kleine Lücke neben den radikalen Islamisten, die in ein paar Jahren über Nuklearwaffen verfügen werden, Piraten, die unsere Regierungen einschüchtern werden. Wir bewegen uns Schulter an Schulter mit der ganzen Welt auf gewaltigen Datenautobahnen. Über all spontane globale Verbindungen …« Dann rückte er näher an mich heran und sagte: »Corsini, unsere Welt hat sich geändert. Deine und meine. Sie ist kaum wiederzuerkennen. Aber eins lass dir gesagt sein: Für Saurier wie Gagarin oder Stonowitsch gibt es darin keinen Platz mehr!«
Sein Atem verströmte einen heftigen Mentholgeruch.
»Das glaube ich auch. Und eines Tages, vielleicht schon bald, werden sie für immer aussterben. Denn sie verfügen weder über die notwendige Intelligenz noch die Erfahrung, um zu überleben. Im Augenblick unterstützt Boris Iwanowitsch sie noch. Timo, ich hoffe, du bist nicht derjenige, der das nahende Ende beschleunigt …«
»Pah! Das denkt Boris? Habe schon gehört. Such woanders nach Mörder, Corsini. Ich verfüge über Intelligenz, wie du sagst.«
»Jemand hat mir erzählt, dass Tamaew deine
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