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Der Profi

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Titel: Der Profi Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fernando S. Llobera
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sich. »Aber was zum Teufel hab ich denn zu verlieren?« Er kannte das Elend der Gesellschaft gut genug, er wusste, was Hunger bewirken kann, er erinnerte sich an die Schläge seines alkoholkranken Vaters, die Exzesse seines Feldwebels bei der Fremdenlegion, die Folter in Ländern, wo das Leben weniger wert ist als die Kugel, die es beendet. Er kannte die Verzweiflung der Entzugserscheinungen, wenn man auf Droge war, die Ablehnung von all jenen, die bei ihrer Geburt mehr Glück gehabt hatten … All das waren seine ständigen Weggefährten gewesen. Ihm brauchte man nichts zu erzählen.
    »17,50 Euro!«, sagte die Kassiererin. Und er kramte nach den passenden Münzen.
    Draußen wärmte die Sonne bereits die abgerissenen Gestalten, die sich vormittags auf der Plaza de la Luna, einen Sprung von der Gran Vía entfernt, tummelten. Ein Mikrokosmos aus Kleingaunern, Bettlern, Prostituierten und Rentnern, die mit ihrem am Monatsende knapp gewordenen Geld auf Schnäppchensuche gingen. Daneben Immigranten, sie traten stets in größeren Gruppen auf, was ihnen ein Gefühl der Sicherheit gab, Betrunkene und Drogenabhängige, die ihre jeweilige Sucht zu befriedigen suchten, chinesische und marokkanische Händler, die Geschäfte betrieben. Der Mörder bog in die Calle Desen gaño ein und nahm dann die Calle Ballesta, bis er einen halb verfallenen und verdreckten Hauseingang erreichte.
    Von den Wänden im Treppenhaus bröckelte der Putz. Der Mörder war bereits über fünfzig, aber er war noch immer drahtig und stieg die Stufen, immer zwei auf einmal nehmend, mit Leichtigkeit hoch. Im dritten Stock blieb er stehen. In dem schummrigen Licht brauchte er eine ganze Weile, um die Tür zu seiner Wohnung aufzuschließen. Sein Apartment war ein getreues Abbild seines Lebens. Er mietete es wochenweise von einer alten Frau, die weniger von ihm verlangte, als er erwartet hatte, wahrscheinlich weil sie Angst hatte, dass er ihr etwas an tun könnte. Er legte seine Tasche auf einen Tisch in der Mitte des Wohnzimmers, die Glühbirne an der Decke ließ er ausgeschaltet. Die Helligkeit, die aus dem Innenhof hereindrang, war spärlich, aber sie genügte ihm. Er zündete sich eine Zigarette an und öffnete eine Dose mit Schmieröl. Während ihm der Qualm in die Augen stieg, zerlegte er die beiden unheilvollen Uzis und mehrere Pistolen und fing an, sie gründlich zu reinigen. Sobald er damit fertig war, öffnete er einen Karton und holte aus diesem eine Magnetbombe heraus. Er überprüfte die Verkabelung und ob der Magnet funktionierte. Es handelte sich um eine relativ primitive Bombe, allerdings von großer Durchschlagskraft.
    Methodisch, wie er war, hatte er sich, als er den Auftrag zur Ermordung der russischen vory erhielt, als Erstes ein Buch über die Psychologie der sowjetischen Kultur zugelegt. Den Feind zu erforschen, ihn bis ins letzte Detail zu durchdringen war für ihn ein unentbehrlicher Bestandteil seiner Arbeit. Das hatte ihm vor vielen Jahren einmal ein Gefreiter gesagt, mit dem er in einem Söldnerheer in Angola gekämpft hatte. Der Gefreite war später gefallen, aber sein Ratschlag hatte sich dem Mörder für immer ins Gedächtnis gebrannt.
    Das Buch stammte noch aus der ehemaligen Sowjetunion und war von einem alten Exilkommunisten ins Spanische übersetzt worden. Er selbst war nie in Russland gewesen. Die Vorstellung, die er sich von dem Land machte, war stark idealisiert (und ziemlich veraltet). Was er las, beschwor ganz gegenteilige Gedanken in ihm herauf: Einerseits bewunderte er die innere Kraft und den Kampfgeist der Bolschewiken, andererseits empfand er den Verlierern gegenüber tiefe Abscheu. Sie waren Besiegte!
    Das waren die Schlussfolgerungen, die er daraus zog. Vielleicht lag er falsch, aber in mancher Hinsicht stimme ich ihm vollkommen zu: Der postsowjetische Charakter ist ein Wirrwarr, den zu entziffern mir noch immer nicht gelungen ist.
    Der Mörder hatte auch einen Boss. Während er noch mit dem Reinigen und Schmieren seiner Mordinstrumente beschäftigt war, plante sein Auftraggeber bereits ein neues Verbrechen für ihn. Der vierte vor auf seiner Liste war während der frühen Morgenstunden von seinem Wohnsitz in Marbella in der spanischen Hauptstadt eingetroffen und dort in einem Hotel in der Innenstadt abgestiegen. Er hatte für eine volle Woche gebucht. Besser so: Der Auftraggeber zog es vor, sein nächstes Opfer in seiner eigenen Stadt, wo er sich am besten auskannte, ermorden zu lassen. Er schnappte sich seine

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