Der Prophet des Teufels
brünette Frau mit braunen Augen. Eine Frau, deren Lebensglück Hanussen zerstört hat. Die einzige Frau, die an seinem Grabe weinen wird. Gehen Sie, Madame!«
Der Magier erwacht aus seiner Trance. Fast verwundert sieht er sich ein paar Sekunden im Saale um. Dann starrt er auf den Sitzplatz in der ersten Reihe, ganz rechts.
Er ist leer.
Die Baronin ist geflüchtet.
»Ich bitte um Ruhe«, sagt der Vorsitzende. Er sieht aus wie ein würdiger, in Schmalkost ergrauter preußischer Landrichter, trägt jedoch an seiner Robe das Wappen der tschechoslowakischen Republik. Die Augen der Welt sind auf den großen Wirtshaussaal von Leitmeritz gerichtet. Hanussen, der weltberühmte Hellseher, hat sich hier wegen Betrugs zu verantworten.
Über hundert Reporter kommen in das verschlafene Städtchen. Das Amtsgericht übersiedelt des Andrangs wegen in den Tanzsaal. Die Sensation ist vollständig. Die Welt des Irrealen, vertreten durch den Angeklagten Hanussen, und die Welt des Realen, vertreten durch den Staatsanwalt, begegnen sich. So oder so nimmt die ganze Welt an dieser Begegnung Anteil: Entweder wird Hanussen vom Gericht als Betrüger entlarvt, oder aber der Staatsanwalt bestätigt ihm, daß er ein »echter« Hellseher ist.
Die ersten Runden gehen an den Staatsanwalt. Hanussen muß das ängstlich gehütete Geheimnis seiner Herkunft zu Protokoll geben. Er sagt aus, daß er eigentlich Heinrich Steinschneider heißt und der Sohn eines Synagogenhausmeisters ist. In freudiger Erwartung des Urteils seziert der Staatsanwalt das Vorleben von Hanussen. Der Hellseher startete seine Karriere auf dem Rummelplatz. Der ›größte Magier seiner Zeit‹ begann als Messerwerfer und Feuerschlucker, als Jungfrau mit drei Beinen oder als Neger mit zwei Hälsen. Er zerriß eiserne Ketten aus Pappmache und verdingte sich nacheinander als dummer August oder als starker Heinrich.
Hanussens Weltruhm droht im Gelächter der Gerichtssaalbesucher unterzugehen. Er macht keine sehr glückliche Figur. Er sitzt katzenbucklig auf der Anklagebank. Er gibt in den ersten Tagen unnötig Verhandlungsvorteile aus der Hand. Es scheint, daß ihn sein eigenes Vorleben schockiert hat. Von der spielerisch arroganten Routine, von der überlegenen Ironie, von der geschliffenen Sprache ist nichts übriggeblieben. Ein armer Sünder scheint das Gericht um Gnade zu bitten. Die Frage ist: Zwei oder vier Jahre für Hanussen?
Am vierten Tage erwacht er aus seiner Lethargie. Er wird aggressiv.
»Sie haben einer alten Frau prophezeit, daß ihr Sohn noch lebt. Diese Behauptung läßt sich durch nichts beweisen«, sagt der Staatsanwalt.
»Es läßt sich aber auch nicht beweisen, daß er nicht mehr lebt«, erwidert Hanussen.
»Sie haben sich von der alten Frau Geld für Ihre sogenannte Prophezeiung geben lassen.«
»Sie erhalten auch Geld für Ihre sogenannte Anklage, Herr Staatsanwalt.«
»Ich muß schon bitten«, entgegnet der Vorsitzende. »Wenn Sie sich nicht anständig benehmen, stelle ich Sie wegen ungebührlichen Verhaltens vor Gericht unter Strafe.«
»Sehr wohl, Herr Vorsitzender.«
»Fahren Sie fort, Herr Staatsanwalt«, wendet sich der Vorsitzende an den Anklagevertreter.
»Bestreiten Sie, Geld für Prophezeiungen genommen zu haben?«
»Nein.«
»Sehen Sie …«, fährt der Staatsanwalt fort.
»Ich sehe sehr gut«, unterbricht ihn Hanussen gereizt. »Ich bin Hellseher. Das ist mein Beruf. Ein ordentlicher Beruf. Genauso wie der des Staatsanwalts, nur daß man ihn nicht erlernen kann wie die Rechtswissenschaft. Es gibt deshalb weniger Hellseher als Staatsanwälte, womit ich nicht sagen will, daß es nicht gut wäre, wenn die Staatsanwälte Hellseher wären.«
»Angeklagter, wir haben das wissenschaftliche Gutachten gehört. Die Wissenschaft bestreitet ganz entschieden, daß es so etwas gibt wie Hellseherei. Wohlgemerkt, das hat nichts mit Telepathie, mit Gedankenübertragung, zu tun. Wenn es also Hellsehen nicht gibt, dann ist jede hellseherische Praxis Betrug.«
»Sie müssen mir einen einzigen Betrugsfall nachweisen, Herr Vorsitzender.«
»Einen?« ruft der Staatsanwalt. »Dutzende!«
Im Zuschauerraum wird es unruhig. Die Verhandlung geht im Kreise herum.
»So kommen wir nicht weiter«, sagt Hanussen. Er hat auf einmal wieder seine Form gefunden. Seine Überlegenheit ist da. Die Anklagebank wird für ihn zum Podium, der Gerichtsraum zum Hörsaal, das Gericht zum Statisten seines Spiels.
»Ich werde den Beweis, den der Staatsanwalt noch schuldet,
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