Der Prophet des Teufels
»Meine Damen und Herren, passen Sie jetzt gut auf!« Seine Stimme wird lauter. Er spricht schneller. »Der Herr links ist vom ›Nachtexpreß‹. Er ist Reporter. Er kam hierher, um Hanussens Tricks aufzudecken. Meine Damen, meine Herren, ich darf Ihnen sagen, daß er unverrichteter dinge wieder gehen wird.«
Die Zuschauer lachen schallend.
»Stimmt es?« fragt Hanussen überflüssigerweise. »Wollen Sie etwas Persönliches wissen?« wendet sich der Hellseher weiter an den Reporter.
»Warum nicht?«
»Sie sind zwei Monate im Vorschuß. Vor acht Tagen sollten Sie entlassen werden, weil Sie die Braut Ihres Chefs geküsst haben. Sie verwetten Ihr ganzes Geld in Hoppegarten. Was Sie nicht verwetten, setzen Sie im Romanischen Café in Kognak und Zigaretten um. Sie wollten Jurist werden. Nein. Ich verbessere mich: Sie sind Jurist. Nur zum Assessor hat es nicht gelangt.«
Wieder lacht der Saal.
»Das sind alte Kamellen«, erwidert der Reporter. »Alles Sachen, die sich die Leute erzählen, die mich kennen. In die Zukunft müssen Sie gehen, Herr Hanussen!«
»Kommen Sie morgen in mein Büro«, erwidert Hanussen kurz. »Verlangen Sie nichts Unmögliches von mir. Ich werde Ihnen Ihre Zukunft enthüllen. Aber ich warne Sie. Sie werden nicht mehr ruhig sein. Sie werden Tag und Nacht daran denken. Es gibt dann kein Zurück mehr, wenn Erik Jan Hanussen die Zukunft prophezeit hat. Sie können sich auf den Tag und die Stunde verlassen. Sie werden nachts nicht mehr schlafen. Jeder Bissen Essen wird Ihnen im Hals steckenbleiben. Sie werden nachts durch Ihre Wohnung geistern und eine Zigarette an der anderen anzünden.
Laufen Sie, mein Lieber! Halten Sie Ihre Ohren mit beiden Händen zu, wenn ich den Schleier vor Ihrer Zukunft wegziehen werde! Fürchten Sie sich! Die Zukunft ist der größte Feind der Gegenwart. Die Zukunft ist eine kalte, graue Spinne, die ihre häßlichen, langen Arme nach Ihnen reckt.
Gehen Sie, junger Mann, und schreiben Sie Ihren Artikel!«
Im Zuschauerraum wird es unruhig.
»Sie müssen mir gestatten, meine Damen und Herren, daß einige Fragen unbeantwortet bleiben. Ich kann die Verantwortung nicht übernehmen. Gehen wir zum nächsten Herrn.«
Hanussen steht ein paar Sekunden überlegend da. Er legt seine Hand auf die Stirn und fährt sich langsam über das Gesicht. Er lächelt.
»Ein Glücksfall, meine Damen, meine Herren! Betrachten Sie sich unseren Freund hier! Sehen Sie sich seinen Smoking genau an! Sehen Sie, daß die Taschen schon ein bißchen ausgebeult sind und das Revers noch aus der Inflation stammt? Dieser Smoking hat seine Geschichte. Ich werde sie Ihnen erzählen. Der Mann, der ihn sich machen ließ, ist tot. Er hat Speck gegen Schmuck getauscht, den Schmuck in Dollars umgewechselt, die Dollars in Riesensummen Mark verwandelt und damit Häuserblocks in Berlin aufgekauft. Sie sehen, es ist gar nicht schwer, reich zu werden. Der Mann hat lustig gelebt. Er war immer mit zwei Freundinnen zusammen in einer Bar. Er trank immer doppelt soviel, als er vertrug. Und dann lernte er Lizzy kennen. Lizzy hieß natürlich Elisabeth. Sie war die Tochter einer Garderobenfrau. Als Elisabeth Lizzy wurde, war unser Inflations-Freund 61 und Lizzy 17. Sie sehen, meine Damen und Herren, er verstand etwas von den Genüssen dieser Welt.«
Hanussen, der im leichten Plauderton gesprochen hat, lächelt sein Publikum an. Seine Augen wandern von einem zum andern, ganz langsam und doch blitzschnell. Nie gab es einen Conférencier, einen Schauspieler, der sein Publikum besser in der Gewalt hatte.
»Mit 61 soll man nicht tanzen gehen. Meine Damen und Herren, es ist unmöglich, von Hanussen nicht gefesselt zu werden. Hören Sie gut zu! Ich erzähle Ihnen die Geschichte eines Smokings. Diese Geschichte ist noch nicht zu Ende. Es ist keine Geschichte zum Lachen. Es ist eine Geschichte, aus der man seine Lehren ziehen sollte. Aber Lehren zieht man erst dann, wenn einem das Leben Ohrfeigen gibt. Die Geschichte des Smokings geht weiter.«
Der Magier redet jetzt langsamer und lauter. Nach jedem Satz macht er eine kleine Pause. Sein Ernst ist ironisch. Man merkt es, aber er will, daß man es merkt.
»Ich sagte schon: Mit 61 soll man nicht tanzen gehen. Wissen Sie, man fühlt sich zwar noch jung, aber das Herz ist halt schon alt. Es wäre vielleicht alles besser geworden, wenn in dieser Zeit nicht der Charleston erfunden worden wäre. Lizzy tanzte ihn für ihr Leben gerne. Und unser Freund tanzte mit. Auf einmal machte es
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