Der Prophet
diese Dinge, damit ihr untereinander sagen könnt: »Er hat uns hoch gelobt. Er hat nur das Gute in
uns gesehen.«
Ich spreche nur für euch in Worten aus, was ihr in Gedanken schon wisst.
Und was ist Wortwissen denn anderes als ein Schatten des wortlosen Wissens?
Eure Gedanken und meine Worte sind Wellen aus einem versiegelten Gedächtnis, das all eure gestrigen Tage bewahrt
Und die urfernen Tage, als die Erde weder von uns noch sich selbst etwas wusste,
Und die Nächte, als die Erde in wüster Verwirrung lag.
Weise Männer sind zu euch gekommen, um euch von ihrer Weisheit zu geben. Ich kam, um von eurer Weisheit zu schöpfen.
|88| Und seht, ich fand etwas, das größer ist als Weisheit:
Es ist ein flammender Geist in euch, der mehr und mehr zunimmt,
Während ihr, ohne auf sein Wachstum zu achten, das Schwinden eurer Tage beklagt.
Es ist das Leben auf der Suche nach Leben in Körpern, die vor dem Grab zittern.
Hier gibt es keine Gräber.
Diese Berge und Ebenen sind eine Wiege und ein Trittstein.
Wann immer ihr am Acker vorbeikommt, wo eure Ahnen gebettet liegen, seht aufmerksam hin, und ihr werdet euch selbst und eure
Kinder Hand in Hand tanzen sehen.
Wahrlich, ihr seid häufig vergnügt, ohne es zu wissen.
Andere sind zu euch gekommen, die zum Dank für ihre goldenen Versprechen von euch Reichtümer, Macht und Herrlichkeit empfingen.
Weniger als ein Versprechen habe ich euch gegeben, und doch habt ihr mich noch reichlicher beschenkt.
Ihr gabt mir meinen tieferen Durst nach dem Leben.
Kann ein Mensch schließlich Größeres empfangen als das, was jedes seiner Ziele in ausgedörrte Lippen verwandelt und das ganze
Leben in eine Quelle?
|89| Und hierin liegt mein Lohn und meine Ehre:
Dass ich, wann immer ich zur Quelle komme, um dort zu trinken, das lebendige Wasser gleichfalls durstig antreffe;
Und es mich trinkt, während ich es trinke.
Manche von euch haben mich für hochmütig gehalten und zu stolz, Geschenke anzunehmen.
Zu stolz bin ich allerdings, Bezahlung anzunehmen, nicht aber Geschenke. Und habe ich auch Beeren gegessen unter freiem Himmel,
als ihr mir gern aufgetischt hättet,
Und in der Vorhalle des Tempels geschlafen, als ihr mich mit Freuden beherbergt hättet –
War es da nicht die Liebe, mit der ihr meiner Tage und Nächte gedachtet, was die Speise meinem Mund versüßte und meinen Schlaf
mit Gesichten bekränzte?
Dafür segne ich euch am meisten:
Ihr gebt viel und seid euch nicht bewusst, dass ihr überhaupt etwas gebt.
Denn die Freundlichkeit, die sich im Spiegel betrachtet, verwandelt sich in Stein,
Und eine gute Tat, die sich mit zärtlichen Namen belegt, gebiert einen Fluch.
|90| Und manche von euch haben mich unnahbar genannt und berauscht von meinem eigenen Alleinsein,
Und ihr habt gesagt: »Er hält Rat mit den Bäumen des Waldes, mit Menschen aber nicht.
Er sitzt allein auf Gipfeln und blickt auf unsere Stadt herab.«
Es ist wahr, dass ich die Hügel erstiegen und entlegene Orte gesucht habe.
Wie hätte ich euch sehen können, wenn nicht aus großer Höhe oder großer Entfernung?
Wie kann jemand wirklich nah sein, außer er ist fern?
Und andere unter euch haben mich wortlos angerufen und gesagt:
»Fremder, Fremder, der du schwindelnde Höhen liebst, warum wohnst du zwischen den Gipfeln, wo Adler ihre Horste bauen?
Was suchst du das Unerreichbare?
Welche Stürme möchtest du mit deinem Netz fangen, und welche Wolkenvögel jagst du am Himmel?
Komm und sei einer von uns.
Steig herab und still deinen Hunger mit unserem Brot und lösche deinen Durst mit unserem Wein.«
In der Einsamkeit ihrer Seele sagten sie diese Dinge;
Aber wäre ihre Einsamkeit tiefer gewesen, hätten sie erkannt, dass ich nur das Geheimnis eurer Freude und eures Kummers suchte
|91| Und ich nur euer größeres Selbst verfolgte, das durch den Himmel schweift.
Aber der Jäger war auch der Gejagte.
Denn viele meiner Pfeile verließen den Bogen nur, um meine Brust zu durchbohren.
Und ich, der flog, kroch auch zugleich;
Denn wenn sich meine Schwingen in der Sonne spannten, war ihr Schatten auf der Erde eine Schildkröte.
Und ich, der Gläubige, war auch zugleich der Zweifler;
Denn oft habe ich den Finger in meine eigene Wunde gelegt, damit mein Glaube an euch und mein Wissen um euch umso größer würden.
Und eben in diesem Glauben und diesem Wissen sage ich euch:
Ihr seid nicht in euren Körpern eingesperrt noch an Häuser oder Felder
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